Übersicht
Verlag | : | Diederichs |
Sprache | : | Deutsch |
Erschienen | : | 16. 11. 2009 |
Seiten | : | 144 |
Einband | : | Gebunden |
Anzahl | : | 1 |
Höhe | : | 190 mm |
ISBN | : | 9783424350166 |
Enthaltene Werke
Autor | Text | ||||||
Peter Sloterdijk | Philosophische Temperamente |
Produktinformation
Die großen Weltendeuter im Portrait
Vierzig Jahre nach Wolfgang Weischedels Philosophischer Hintertreppe präsentiert Peter Sloterdijk philosophische Temperamente von Platon bis Foucault und öffnet damit einen neuen Zugang zu den Meisterdenkern des Abendlands. Seine Toasts auf die zwanzig bedeutendsten Köpfe der Geistesgeschichte sind die perfekte philosophische Einstiegsdroge. Prägnanter und treffender wurden Platon, Marx & Co. noch nicht porträtiert.
Pressestimmen
"Allzu viele bessere, interessantere philosophische Bücher hat dieses Jahr nicht hervorgebracht."
Leseprobe
Um die Mitte der neunziger Jahre entwickelten der Diederichs Verlag und ich gemeinsam den damals zun?st verwegen anmutenden Plan einer alternativen Philosophiegeschichte, die die gro?n Etappen des alt- und jungeurop?chen Denkens in Form von Leseb?chern zu den bedeutsamsten Autoren abschreiten sollte. Die Idee war damals ohne Zweifel von dem Wunsch mitgetragen, ein antizyklisches intellektuelles Signal gegen die entfesselte Geistlosigkeit zu setzen, die f?r das deutsche Finde-si?e bezeichnend war.
Das Neue an dem Unternehmen bestand in dem Beschlu? den ma?t?setzenden Autoren selbst das Wort zu geben. Es war unser Anliegen, als Editoren und Vermittler philosophischer Prim?exte die Vorherrschaft der Sekund?iteratur zu unterlaufen, die seit langem daf?r sorgt, da?der Wortlaut der urspr?nglichen Gedanken allenthalben hinter undurchdringlichen Schleiern aus Kommentaren und Kommentarskommentaren verschwindet. Mit der Hinwendung zu den Texten selbst wollten wir einem breiteren Publikum einen Zugang zum origin?n philosophischen Denken erschlie?n und nicht zuletzt auch den Studierenden des akademischen Fachs "Philosophie" eine Alternative zu den ?berall dominierenden "Einf?hrungen" an die Hand geben. Es war meine ?erzeugung - und ist es noch -, da?es in die Philosophie keine Einf?hrung geben kann, vielmehr mu?von der ersten Minute an die philosophische Disziplin selber sich vorstellen, als Modus des Denkens f?rs erste, als Modus des Lebens in der Folge.
Das Projekt nahm durch die gute Zusammenarbeit zwischen dem Verlag und dem Herausgeber rasch konkrete Gestalt an und vermochte eine Anzahl exzellenter Gelehrter so zu ?berzeugen, da?sie sich bereit erkl?en, die Auswahl und Pr?ntierung der Prim?exte zu ?bernehmen. Binnen weniger Jahre entstand eine Serie, die nicht weniger als eine philosophische Bibliothek in nuce darstellte. Diese B?cher haben bald ihren Weg zu den Lesern gefunden und haben vor allem mit ihren Nachdrucken als Taschenb?cher ein gro?s Publikum erreicht. Nur zwei von den geplanten B?en - nicht zuletzt solche, die mir besonders am Herzen lagen -, das Heidegger-Lesebuch und der Adorno-Reader, kamen aufgrund von rechtlichen Schwierigkeiten nicht zustande. Es war eine best?rzende Erfahrung zu erkennen, wie die Besitzer der Nachl?e von Heidegger und Adorno ihre Monopole dazu nutzten, die von den besten Kennern erarbeiteten Auswahlen aus den Schriften dieser Autoren zu verhindern.
Durch die Sammlung der Herausgebervorworte zu den einzelnen B?en in dem vorliegenden B?chlein ist ein Effekt entstanden, der urspr?nglich nicht intendiert war und jetzt doch eine gewisse Plausibilit?erzeugt: Zu meiner eigenen ?erraschung bemerke ich, da?die hier zusammengetragenen Denker-Vignetten so etwas wie ein sinnvolles Aggregat ergeben - keine Philosophiegeschichte, aber doch eine Galerie von Charakterstudien und intellektuellen Portraits, die zeigen, wie sehr Nietzsche im Recht war, wenn er notierte, alle philosophischen Systeme seien immer auch so etwas wie unbemerkte Memoiren und Selbstbekenntnisse ihrer Verfasser gewesen. Da?die Auswahl der Autoren mit einem unvermeidlichen Faktor an Ungerechtigkeit verbunden war, l? sich nicht leugnen. Indem sie der Beliebigkeit aus dem Weg ging, hielt sie sich in der Mitte zwischen Notwendigkeit und Willk?r.
Der Titel der vorgelegten Sammlung spielt un?ber-h?rbar auf Fichtes bekannte Sentenz an: Welche Philosophie man w?e, h?e davon ab, was f?r ein Mensch man sei. Damit wollte er sagen: Die unterw?rfigen Seelen entscheiden sich f?r ein naturalistisches System, das ihre Servilit?rechtfertigt, w?end Menschen von stolzer Gesinnung nach einem System der Freiheit greifen. Diese Beobachtung ist so wahr wie eh und je. Ich hoffe, mit den folgenden kleinen Studien gezeigt zu haben, da?die Skala der philosophischen Temperamente weit ?ber den Typengegensatz zwischen feigen und stolzen Subjekten hinausreicht. Sie ist so ausgedehnt wie die vom Logos aufgehellte Seele, von der Heraklit behauptete: So weit man auch gehe, es sei unm?glich, an ihre Grenzen zu gelangen.
PLATON
In dem ber?hmten Aphorismus 344 der Fr?hlichen Wissenschaft: "Inwiefern auch wir noch fromm sind" hat der Antiplatoniker Friedrich Nietzsche dem Gr?nder der athenischen Akademie ein so ehrenvolles wie problematisches Denkmal gesetzt:
"Doch man wird es begriffen haben, worauf ich hinaus will, n?ich da?es immer noch ein metaphysischer Glaube ist, auf dem unser Glaube an die Wissenschaft ruht - da?auch wir Erkennenden von heute, wir Gottlosen und Antimetaphysiker, auch unser Feuer noch von dem Brande nehmen, den ein jahrtausendealter Glaube entz?ndet hat, jener Christen-Glaube, der auch der Glaube Platos war, da?Gott die Wahrheit, da?die Wahrheit g?ttlich ist. wie aber, wenn dies gerade immer mehr unglaubw?rdig wird Die Geschichte der europ?chen Philosophie l?t sich als eine Stafette vorstellen, in der ein bei Platon - und einigen seiner Vorl?er, namentlich Parmenides und Heraklit - entz?ndetes Feuer durch die Generationen getragen wurde.
Das Bild vom Fackellauf des Denkens durch die Jahrtausende ist mit den gegens?lichsten Wertungen vertr?ich, gleich ob man diesen Lauf umstandslos als Wahrheitsgeschichte auffassen m?chte oder nur als Problemgeschichte oder gar, wie Nietzsche suggerierte, als Geschichte unseres l?sten Irrtums. Mit gutem Recht hat Marsilio Ficino - Schl?sselfigur des florentinischen Neoplatonismus im 15. Jahrhundert - in der Einleitung seines Kommentars zum Symposion (De amore) Platon den "philosophorum pater" genannt.
Tats?lich war die europ?che Philosophie in ihrer idealistischen Hauptstr?mung gleichsam die Folge einer platonischen Patristik; sie prozessierte als ein Komplex von Lehrs?en und Machtworten, die in letzter Instanz aus einer einzigen zeugungsm?tigen Quelle zu flie?n schienen. Die platonischen Meisterschriften haben wie eine Samenbank der Ideen gewirkt, aus der sich zahllose sp?re Intelligenzen befruchten lie?n, oft ?ber gro? zeitliche und kulturelle Entfernungen hinweg. Dies gilt nicht nur f?r die athenische Akademie selbst, die als Urbild der europ?chen "Schule" ihren Lehrbetrieb fast ein Jahrtausend lang in einer ununterbrochenen Folge aufrechtzuerhalten wu?e (387 v. Chr. bis 529 n. Chr.); Platons Lehre erwies sich zudem als ein Wunder an ?ersetzbarkeit und strahlte auf eine Weise, die man evangelisch nennen k?nnte, in fremde Sprachen und Kulturen ein - wof?r die r?mische und die arabische Rezeption, sp?r auch die deutsche, die wichtigsten Beispiele bieten. Sie werden an Bedeutung nur noch ?bertroffen durch die Einschmelzung des Platonismus in die christliche Gotteslehre. Was Adolf von Harnack einst die Gr?sierung oder Verweltlichung der christlichen Theologie genannt hat, die akute gnostische wie die allm?iche katholische, steht weithin im Zeichen des g?ttlichen Platon. Im ?brigen transportieren manche der spekulativen Theosophien des Islam bis in die Gegenwart eine F?lle platonisierender Motive.