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Feindbild Fremde

Feindbild Fremde

-Xenophobie als mediale Praxis in Brasilien (1917–1930)-

Karina Kriegesmann

 

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Übersicht


Verlag : Campus Verlag
Buchreihe : Eigene und fremde Welten (Bd. 38)
Sprache : Deutsch
Erschienen : 08. 04. 2020
Seiten : 353
Einband : Kartoniert
Höhe : 213 mm
Breite : 140 mm
ISBN : 9783593512006

Du und »Feindbild Fremde«




Autorinformation


Karina Kriegesmann ist wiss. Mitarbeiterin in der Abteilung Geschichte Lateinamerikas der Freien Universität Berlin.

Produktinformation


Ängste vor »unerwünschten Fremden« zu erzeugen und Gefahrenszenarien der Immigration zu verbreiten, ist nicht nur ein Phänomen der Gegenwart – dies hat eine lange Geschichte. Karina Kriegesmann beschäftigt sich erstmals mit dem Schüren fremdenfeindlicher Ressentiments in Brasilien in den Jahren zwischen dem Ersten Weltkrieg und der Weltwirtschaftskrise. Sie zeigt am Beispiel dieses südamerikanischen Einwanderungslandes auf, wie Wahrnehmungen von Mobilität, Diversität und einer enger zusammenwachsenden Welt mit der vor allem durch die Presse propagierten Xenophobie und mit Abschottung einhergingen.

Inhaltsverzeichnis


Inhalt
Einleitung 7
1. Chancen und Gefahren im Weltkontext um 1900 42
1.1 Immigration als Ziel und Risiko 43
1.2 Ambitionen und Enttäuschungen in Wirtschaft und Politik 48
1.3 Neue Medienakteure und Transformationen der Öffentlichkeit 52
1.4 Zusammenfassung 64
2. Bekräftigung und Entkräftung des Feindbilds vom Deutschen im Ersten Weltkrieg 67
2.1 Gerüchte um Immigranten in Südbrasilien 69
2.2 Gefahrenwahrnehmungen durch innerbrasilianische Zeitungshetze 80
2.3 Überregionale Verbreitung einer latenten Bedrohung 93
2.4 Die Luxburg-Affäre als Medienereignis 101
2.5 Nachrichtenpolitik und Xenophobie als Erbe des Krieges 111
2.6 Zusammenfassung 123
3. Fälschung und Verfälschung beängstigender Zukunftsszenarien japanischer Immigration 126
3.1 Konstruierte Gefahren für die westliche Hemisphäre 128
3.2 Verbreitung und Transformation einer Falschmeldung 141
3.3 Übersetzungsversuche der Implikationen des Asian Exclusion Act 154
3.4 Missverständnisse zwischen Tokio und Amazonien 170
3.5 Zusammenfassung 187
4. Bedeutung und Umdeutung der ›Unerwünschten‹ in Zeiten globaler Umbrüche 191
4.1 Von ›Sündenböcken‹ zur fremdenfeindlichen Pressekampagne 193
4.2 Naturalisierungs- und Pathologisierungsstrategien 211
4.3 Vereinfachte Forderungen nach Exklusion 229
4.4 Feinderzeugung im transnationalen Raum 246
4.5 Zusammenfassung 260
5. Zäsuren, Kontinuitäten und Hintergründe der Xenophobie 264
5.1 Die Revolte von São Paulo und die Medien 265
5.2 ›Fremdenrevolte‹ und Gesellschaftskrise 272
5.3 Nationalismus und Ausgrenzung zwischen
Weltwirtschaftskrise und Estado Novo 284
5.4 Zusammenfassung 293
Schlussbetrachtung 295

Abkürzungsverzeichnis 317
Quellen und Literatur 318
Dank 351

Pressestimmen


»Karina Kriegesmanns Monographie zeigt eindrücklich die Funktionsweisen von ›Fakenews‹ und ihren Beitrag bei der Verschärfung von Xenophobie in einem Migrationsland und ist damit auch für die deutsche Gegenwart von Relevanz.« Frederik Schulze, H-Soz-Kult, 29.06.2021

Leseprobe


Einleitung
»Vor 1914 hatte die Erde allen Menschen gehört. Jeder ging, wohin er wollte und blieb, solange er wollte. […] Es gab keine Permits, keine Visen, keine Belästigungen; dieselben Grenzen, die heute von Zollbeamten, Polizei, Gendarmerieposten dank des pathologischen Mißtrauens aller gegen alle in einen Drahtverhau verwandelt sind, bedeuteten nichts als symbolische Linien […]. Erst nach dem Kriege begann die Weltverstörung durch den Nationalismus, und als erstes sichtbares Phänomen zeitigte diese geistige Epidemie unseres Jahrhunderts die Xenophobie: den Fremdenhaß oder zumindest die Fremdenangst.«
Diese Worte wählte der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig in seiner Autobiographie Die Welt von Gestern, die er kurz vor seinem Freitod 1942 im Exil in Brasilien vollendete. Zweig rief wehmütig eine Zeit scheinbar grenzenloser Mobilität und Harmonie zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Erinnerung. Angesichts des Aufkommens von krankhafter Xenophobie und der »Erzpest« des Nationalismus schien er nun seine kosmopolitischen Vorstellungen begraben zu haben. Er erkannte, dass die Angst vor Fremden vielerorts ein beunruhigendes Ausmaß angenommen hatte. Barrieren und Exklusionsmaßnahmen gegenüber unwillkommenen Ausländern stellten spätestens in den 1930er- und 1940er-Jahren eher die Regel als die Ausnahme dar.
Xenophobie war jedoch kein selbstverständliches Resultat des Ersten Weltkrieges. Ihre Entstehung muss erklärt werden. Woher kamen das Misstrauen und der Hass? Wer schürte die Ressentiments? Die Angst vor Fremden entsteht nicht im luftleeren Raum. Die Vermittlung von Xenophobie, so wird dieses Buch zeigen, ist an das Handeln von Akteuren, Kommunikationsmedien sowie an konkrete Kontexte gebunden. Nicht ohne Grund stellte der Chronist Domingos Ribeiro Filho 1927 in der in Rio de Janeiro veröffentlichten Zeitschrift A Careta verschiedene Formen der Fremdenangst heraus. Er ging auf die »offizielle«, »akademische« und auch die »journalistische« Xenophobie in Brasilien ein. Dass Medien heute mit Ängsten spielen und diese gezielt schüren, ist hinlänglich bekannt, wie die Debatten um Migration und Asyl veranschaulichen. Dabei handelt es sich keinesfalls um eine Entwicklung, die ausschließlich in der Gegenwart zu beobachten oder lediglich auf die neuen Medien zurückzuführen ist. Sie hat vielmehr eine lange Geschichte, die vonseiten der Wissenschaft gerade in Regionen außerhalb Europas und Nordamerikas bislang nur wenig Aufmerksamkeit erfahren hat.
Brasilien stieg dank liberaler Gesetze um die vorletzte Jahrhundertwende zu einem der am stärksten durch Einwanderung geprägten Länder des amerikanischen Doppelkontinents auf. Zwischen 1881 und 1915 hieß das Land ungefähr drei Millionen Immigranten aus aller Welt willkommen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stieg auch die Einwohnerzahl rasant. Lebten um die Jahrhundertwende erst gut 17 Millionen Menschen in Brasilien, waren es 1920 bereits über 30 Millionen. Das Land nahm vor Armut, Unruhen und Unterdrückung fliehende Personen auf und lockte Arbeitskräfte aus Europa, Asien und dem Nahen Osten an. Zusammen mit der indigenen und der afrobrasilianischen Bevölkerung bildeten all diese Menschen eine multiethnische Gesellschaft, die insbesondere im Ausland als vermeintliche ›Rassendemokratie‹ präsentiert werden sollte. Um sowohl Zweigs als auch Ribeiro Filhos Feststellungen verstehen zu können, müssen die Entstehung und die Verbreitung von Xenophobie untersucht werden. Das Brasilien des frühen 20. Jahrhunderts erweist sich als anschauliches Beispiel dafür, wie Wahrnehmungen von Mobilität, Diversität und einer enger zusammenwachsenden Welt mit der vor allem durch die Presse propagierten Xenophobie und mit Abschottung einhergingen.
Abstrahiert geht es im Folgenden um das Problem der Hintergründe und der treibenden Kräfte, die die Vermittlung von Ängsten ermöglichen. An dieser Stelle sollen zunächst drei zentrale Elemente des Forschungsrahmens skizziert werden. Relevant sind in einem ersten Schritt die wissenschaftlichen Ansätze zur Erklärung von Xenophobie. Im Anschluss daran wird der brasilianische Fall mit seinen Besonderheiten vorgestellt. Das Augenmerk liegt zum einen auf den zeitgenössischen Wahrnehmungen der Integration in den Weltkontext und zum anderen auf der Rolle der Öffentlichkeit, die während des Untersuchungszeitraums einem Wandel unterlag.
Das 20. Jahrhundert kann als das Jahrhundert der Angst gelten. Diese Einschätzung prägten unter anderem Philosophen, Staatsrechtler und Schriftsteller wie Albert Camus, Carl Schmitt, Oswald Spengler oder Martin Heidegger. Die von ihnen beschriebenen Untergangsszenarien trugen maßgeblich zur Rede von einer ›Weltangst‹ in den Jahren zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg bei. Spengler zufolge handelte es sich um eine unbestimmte »Angst vor den fremden Mächten«. Der Germanist Andreas Käuser konkretisiert die zeitgenössischen Einschätzungen und führt die überwiegend rassistisch motivierte Angst vor Fremden als eines der wesentlichen Merkmale des vergangenen Jahrhunderts an.
In den zurückliegenden Dekaden sind in verschiedenen Disziplinen Studien erschienen, die versuchen, die Entwicklung dieser Angst bis in die Gegenwart zu erläutern. Aufgrund der Aktualität der Thematik widmen sich vor allem Soziologen und Psychologen den Einstellungen gegenüber Personen aus dem Ausland. Fremdenfeindlichkeit soll durch Umfragen und Experimente auf einer intrapersonalen, interpersonalen oder intergruppalen Ebene nachgewiesen werden. Die Geschichtswissenschaft hingegen hat sich diesem Forschungsgegenstand bislang selten gewidmet. Dies ist erstaunlich angesichts der Aussage des Sozialwissenschaftlers Michael Ley, der die Angst vor Fremden als »transhistorisches und ubiquitäres Phänomen« bezeichnet. Den Eindruck einer überall verbreiteten Erscheinung vermittelt auch der Historiker Alexander Demandt. In seinem kultur-geschichtlich ausgerichteten Sammelband vereint er Beiträge aus verschiedenen Regionen und Epochen.
Die Angst vor Fremden liegt der naturwissenschaftlich orientierten Anthropologie entsprechend in der Tat unter allen Menschen bereits im Kindesalter vor. Ein grundlegendes Misstrauen gegenüber Unbekannten fungiert Lars Koch zufolge als »Schutzmechanismus«. Durch den Kontakt mit der ›Neuen Welt‹, so lautet eine mögliche Interpretation, habe die Xenophobie ein neues Ausmaß erreicht. Der Wissenschaftstheoretiker Erhard Oeser misst der ›Zivilisierungsmission‹ der Europäer gegenüber den vermeintlich ›Wilden‹ Bedeutung bei. Eine ähnliche Andeutung macht der Literaturwissenschaftler Stephen Greenblatt, dem zufolge die ›Entdeckung‹ außereuropäischer Kulturen die »Erfindung des Fremden« geprägt habe. Diese Feststellungen sollten jedoch nicht zu vorschnellen Schlussfolgerungen führen, denn weder waren es allein Europäer, die in den vergangenen Jahrhunderten Angst vor den Menschen von anderen Kontinenten verspürten, noch sind die Fremden ausschließlich in der ›Neuen Welt‹ zu suchen.
Xenophobie ist zunächst als eine besondere Form von Angst zu betrachten. In dieser Studie stehen allerdings keine psychologischen, neurobiologischen oder kognitionswissenschaftlichen Ansätze im Vordergrund, sondern eine historische Perspektive, die ihr Augenmerk auf die Einbettung von Angst in soziale und kulturelle Umgebungen legt. Angst deutet im Allgemeinen auf die Perzeption von realen oder vorgestellten Gefahren hin und kann zum Handeln motivieren. Sie speist sich aus der Selbst- und Weltwahrnehmung sowie aus dem Verhältnis von vorangegangenen Erfahrungen und in die Zukunft gerichteten Erwartungen. Angst ist – im Gegensatz zur eher konkreten und objektbezogenen Furcht – meist diffus. In Ausnahmesituationen kann sie in Panik ausarten. Dabei muss stets berücksichtigt werden, ob es sich um die Angst um etwas oder vor etwas handelt. Das griechische Wort ›xenós‹ beschreibt einen Fremden, der Anlass zur Sorge gibt. Erfassen lässt sich dieser nur schwer, zumal ein direkter Austausch mit dem Fremden nicht grundsätzlich erforderlich ist. Klischees, Gerüchte und jegliche Formen der Kommunikation über den Fremden bilden eine wesentliche Grundlage des Narrativs vom Fremden. Dessen je unterschiedlich begründete Andersartigkeit führt häufig zur Wahrnehmung einer Bedrohung und zur Ablehnung.
Xenophobie, das sei an dieser Stelle angemerkt, ist im Sinne der Argumentation von Irene Etzersdorfer eine irreführende Bezeichnung. Eine Phobie gilt gewöhnlich als anerkannte Krankheit oder klinisch nachgewiesene Störung. Die hier betrachtete Angst vor Fremden scheint jedoch in keiner Weise mit dem Gesundheitszustand der Menschen in Verbindung zu stehen. Sie ist vielmehr auf deren Wahrnehmungen und Interpretationen zurückzuführen. Dennoch wird an diesem Begriff festgehalten, da er von den Zeitgenossen verwandt und in diversen Publikationen weiterverbreitet wurde. Von Fremdenfeindlichkeit ist hingegen die Rede, wenn Ausdrucksformen der Angst gemeint sind oder eine Verschiebung hin zum Hass hervorgehoben werden soll.
Innerhalb der Sozialwissenschaften wurden bereits Vorschläge zur Erklärung dieser Entwicklung unterbreitet. Konkret stellt der Migrationssoziologe Petrus Han zwei Bedingungen heraus, unter denen anfängliche Vorbehalte und latente Ängste in manifeste Fremdenfeindlichkeit umschlagen können. Dies ist überwiegend dann der Fall, wenn es zu einem deutlichen Anstieg der Einwanderungszahlen kommt und wenn dieser mit einer wirtschaftlichen Krise zusammenfällt. Häufig wird die »Toleranzschwelle« der scheinbar ›schon immer‹ vor Ort lebenden Personen überschritten, die sich in ihrer vermeintlichen Homogenität bedroht fühlen. Verleumdung, Vermeidung, Diskriminierung und physische Gewaltanwendung stellen vielfach zu beobachtende Ausdrücke der Fremdenfeindlichkeit dar. Walter Seitter betont in diesen Kontexten zum einen die »Ohnmacht« der Menschen, die sich bedroht fühlen, und zum anderen die »Allmacht«, die den Fremden zugeschrieben wird. Während in Hans Argumentation die Wirtschaftslage zentral ist, deutet Ingrid Oswald an, dass Fremdenfeindlichkeit auch dann vorliegen kann, wenn etwa keine »konkrete Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt« vorherrscht.
Diese sozialwissenschaftlichen Ausführungen können die Situation in Brasilien lediglich in Ansätzen erklären. Es kam zwar zu einem Anstieg der Einwanderungszahlen, jedoch können die wachsenden Ängste nicht allein auf diesen zurückgeführt werden. In der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts erreichten bereits über 622.000 Immigranten das Land. In den 1910er-Jahren siedelten trotz der kriegsbedingten Unterbrechung des Personenschiffsverkehrs mehr als 815.000 Menschen nach Brasilien über. Diese Zahl erhöhte sich in den 1920er-Jahren erneut, ehe sie im darauffolgenden Jahrzehnt auf unter 328.000 Personen sank. Der Fremde, so hat es Georg Simmel 1908 treffend formuliert, sei der, der heute komme und morgen bleibe. In Brasilien handelte es sich in der Tat neben den jüngst eingewanderten Personen auch bei deren Nachfahren im öffentlichen Diskurs um ›die Ausländer‹ und ›die Fremden‹, die sich kaum exakt erfassen und benennen lassen. Das Wort ›fremd‹ ist in dieser Studie in zweifacher Hinsicht von Bedeutung: Es kann sich auf Personen beziehen, die anderen (noch) nicht bekannt sind. Finden Menschen zu anderen hingegen dauerhaft keinen Zugang, dann bleiben sie einander fremd. Unüberbrückbare soziale Distanzen resultieren aus diesem Verhältnis.
Im Hinblick auf die zweite Bedingung – das Vorliegen einer ökonomischen Krise – weicht der brasilianische Fall von der migrationssoziologischen Darstellung ab. Wirtschaftliche Probleme stellten zwar keine Seltenheit dar. Zu einem deutlichen Einschnitt kam es jedoch erst Ende der 1920er-Jahre infolge des New Yorker Börsencrashs. Diese Beobachtung trägt zu der Vermutung bei, dass in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts noch weitere Aspekte für das Aufkommen von Xenophobie verantwortlich gewesen sein müssen, die allerdings bislang geringere Beachtung gefunden haben. May E. Bletz hat darauf hingewiesen, dass sich die Abneigung in den 1920er-Jahren in Brasilien auch gegen Personen richtete, die zu großen Teilen ›weißer‹ waren als die Eliten selbst. Eine auf den Phänotyp zurückzuführende oder eine sich aus rassistischen Vorurteilen speisende Angst kann damit weder den einzigen noch den zentralen Erklärungsansatz darstellen.
Im Gegensatz zu anderen Werken, die Xenophobie als allgegenwärtiges Phänomen betrachten und sich auf die Verbreitung von Angst insbesondere vor Menschen aus außereuropäischen Regionen konzentrieren, plädiert diese Studie für einen umfangreicheren Analyserahmen. Neben den politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen sollen auch andere Faktoren beleuchtet werden, die zur Erzeugung von Ängsten beitragen konnten. Im Allgemeinen war ein tief greifender Wandel charakteristisch für die Zeit der Ersten Republik Brasiliens (1889–1930), die auf das Kaiserreich (1822–1889) folgte. Zahlreiche gesellschaftspolitische Herausforderungen prägten diese Jahre. Konflikte und Krisen mit einer globalen Reichweite hatten Rückwirkungen auf den Alltag in der Republik und führten zu Diskussionen um die Einbettung in den Weltkontext, die Rückschlüsse auf die Thematik der Xenophobie zulassen.
Trotz seiner unbestrittenen analytischen Unschärfe eignet sich der Begriff der ›Globalisierung‹ dazu, im Rahmen dieses Buchs auf eine Vielfalt von politischen, ökonomischen und kulturellen Interaktionen Bezug zu nehmen. Die Verdichtungen vor allem von Waren-, Menschen- und Ideenströmen waren auch für Brasiliens Erste Republik relevant. Verschiedene Wissenschaftler haben zu Recht gefordert, nicht von einem teleologischen, homogenisierenden und alle Gesellschaftsbereiche gleichermaßen betreffenden Prozess auszugehen. Es liegt weder eine lineare noch eine allerorts synchron verlaufende Entwicklung vor. Abgrenzungen, Fragmentierungen und Entschleunigungen sind ebenso bedeutsam. Die sich seit den 1990er-Jahren etablierende Globalgeschichte widmet sich in besonderem Maße verschiedenen Facetten dieser Thematik. Es handelt sich dabei um eine Perspektive, die sich von eurozentristischen Interpretationsansätzen abwendet. Der Blick richtet sich stattdessen auf die Wechselwirkungen und Aneignungsprozesse, die sich an den Schnittstellen von lokaler und globaler Ebene feststellen lassen.
Eine Phase intensiver Globalisierungserfahrungen ist in den Dekaden um die vorletzte Jahrhundertwende zu beobachten. Mit Beginn der 1870er-Jahre trugen die Fortschritte im Bereich der Verkehrs-, Produktions- und Kommunikationstechniken zu einer Steigerung des Austauschs bei. Wenn nicht bereits 1914 mit dem Beginn des Weltkrieges, so kam es spätestens um 1930 zu einem Bruch, der vielerorts zu einer vorübergehenden Abschwächung der Kontakte führte. Die Ausweitung der Telegraphie, die beschleunigte Überwindung weiter Distanzen sowie die Presseberichterstattung trugen in den Dekaden um 1900 wesentlich zur Einsicht in die Bedeutung fortschreitender Integration bei. Zunehmend bildete sich ein »globales Bewusstsein« heraus, das weniger auf die Entstehung eines Weltbürgertums oder einer gemeinsamen Identität anspielt, sondern auf das Erkennen globaler Zusammenhänge hinweist. Auch zahlreiche Brasilianer entwickelten ein Gespür für die Einbindung in den Weltkontext.

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