Literarisches Werk




Übersicht


Epoche : Renaissance
Originalsprache : Englisch
Genre : Tragödie
Adaption : Hamlet, Hamlet
Umfang : ca. 292 Seiten
Thema : Mord, Rache
Ort : Helsingör, Dänemark
Besondere Liste : Meyers Kleines Lexikon - Literatur, Das Buch der 1000 Bücher, 50 Klassiker - Theater
Verlag : ars vivendi, aufbau, Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Diogenes Verlag, Hamburger Lesehefte Verlag, Insel Verlag, Manesse Verlag, S. Fischer Verlag, Wagenbach
Buchreihe : insel taschenbuch

Kurzbeschreibung


»Hamlet« ist ein Theaterstück von William Shakespeare. 1603 wurde das literarische Werk zuerst veröffentlicht.

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Figuren


Francisco, ein Soldat
Güldenstern, Höfling
Rosenkranz, Höfling
Voltimand, Höfling
Horatio, Hamlets Freund
Bernardo, Offizier
Ein Priester
Osrick, ein Hofmann
Cornelius, Höfling
Laertes, Sohn des Polonius
Polonius, Oberkämmerer
Reinhold, Diener des Polonius
Marcellus, Offizier
Ein anderer Hofmann
Hamlet, Sohn des vorigen und Neffe des gegenwärtigen Königs
Claudius, König von Dänemark
Ein Hauptmann
Ein Gesandter
Der Geist von Hamlets Vater
Fortinbras, Prinz von Norwegen
Gertrude, Königin von Dänemark und Hamlets Mutter
Ophelia, Tochter des Polonius
Herren und Frauen vom Hofe, Offiziere, Soldaten, Schauspieler, Totengräber, Matrosen, Boten und anderes Gefolge



Ein fürchterliches Gemetzel mit viel Gift
In aller Kürze: Als Hamlet, Prinz von Dänemark, von Wittenberg nach Schloss Helsingör zurückkommt, ist sein Vater, der König, angeblich durch einen Schlangenbiss verstorben und seine Mutter hat dessen Bruder Claudius geheiratet. Der ihm nachts erscheinende Geist des Vaters spricht ihm von der Ermordung durch Claudius und Hamlet sinnt auf Rache. Der Verdacht erhärtet sich, als Hamlet eine Wanderschauspieltruppe ein Stück spielen lässt, das einen vergleichbaren Mord zum Gegenstand hat und König Claudius verstört vorzeitig die Vorstellung verlässt. Hamlet spielt nun den Verwirrten und es kommt zum Zerwürfnis zwischen ihm und seiner Geliebten Ophelia, der Tochter des Oberkämmerers Polonius. Während einer Auseinandersetzung mit seiner Mutter Gertrude wegen ihrer vor Ablauf der Trauerzeit erfolgten Heirat mit dem Onkel ersticht Hamlet den hinter einem Vorhang lauschenden Polonius. Der daraufhin die Aufdeckung des Mordes an seinem Bruder befürchtende Claudius versucht vergeblich Hamlet umbringen zu lassen. Als Ophelia, verstört durch die Vorkommnisse, sich das Leben nimmt, fordert ihr Bruder Laertes Hamlet zum Duell vor dem Königspaar, wobei Claudius ihn beredet, seine Degenspitze mit Gift zu versehen und er auch selbst einen Gifttrank für Hamlet vorbereitet hat. Als irrtümlich seine Mutter Gertrude den Giftbecher leert, ersticht Hamlet Claudius, stirbt aber auch selbst an der Verwundung durch Laertes´ vergifteten Degenstich, dem dann auch Laertes durch Vertauschen der Waffen während des Kampfes zum Opfer fällt.



Kurzkritiken


     
anspruchsvoll, nachhaltig, bereichernd, fesselnd, erschütternd
intellektueller rächt seinen vater und zerstört sein ganzes umfeld
     
nachhaltig, bereichernd, eröffnend, fesselnd, ergreifend
lesen, lesen und nochmal lesen
     
     
     
nachhaltig, unterhaltend, fesselnd
     
anspruchsvoll, bereichernd, erhebend
     
raffiniert, bereichernd, spannend, fesselnd, ergreifend
     
raffiniert, bereichernd, spannend, fesselnd, ergreifend
     
spannend, fesselnd, ergreifend



Erster Aufzug.


Erste Scene.
(Eine Terrasse vor dem Palast.)
(Bernardo und Francisco, zween Schildwachen, treten auf.)

Bernardo. Wer da?

Francisco. Nein, gebt Antwort: Halt, und sagt wer ihr seyd.

Bernardo. Lang lebe der König!

Francisco. Seyd ihr Bernardo?

Bernardo. Er selbst.

Francisco. Ihr kommt recht pünktlich auf eure Stunde.

Bernardo. Es hat eben zwölfe geschlagen; geh du zu Bette, Francisco.

Francisco. Ich danke euch recht sehr, daß ihr
mich so zeitig ablöset: Es ist bitterlich kalt, und mir ist gar nicht wohl.

Bernardo. Habt ihr eine ruhige Wache gehabt?

Francisco. Es hat sich keine Maus gerührt.

Bernardo. Wohl; gute Nacht. Wenn ihr den Horatio und Marcellus antreffet, welche die Wache mit mir bezogen haben, so saget ihnen, daß sie sich nicht säumen sollen. (Horatio und Marcellus treten auf.)

Francisco. Mich däucht, ich höre sie. halt! he! Wer da?

Horatio. Freunde von diesem Lande.

Marcellus. Und Vasallen des Königs der Dähnen.

Francisco. Ich wünsche euch eine gute Nacht.

Marcellus. Ich euch desgleichen, wakerer Kriegs-Mann; wer hat euch abgelößt?

Francisco. Bernardo hat meinen Plaz; gute Nacht.

(Er geht ab.)

Marcellus.
Holla, Bernardo!--

Bernardo.
He, wie, ist das Horatio?

Horatio. (Indem er ihm die Hand reicht)
Ein Stük von ihm.

Bernardo.
Willkommen, Horatio; willkommen, wakrer Marcellus.

Marcellus.
Sagt, hat sich dieses Ding diese Nacht wieder sehen lassen?

Bernardo.
Ich sah nichts.

Marcellus.
Horatio sagt, es sey nur eine Einbildung von uns, und will nicht
glauben, daß etwas wirkliches an diesem furchtbaren Gesichte sey,
das wir zweymal gesehen haben; ich habe ihn deßwegen ersucht, diese
Nacht mit uns zu wachen, damit er, wenn die Erscheinung wieder
kömmt, unsern Augen ihr Recht wiederfahren lasse; und mit dem
Gespenste rede, wenn er Lust dazu hat.

Horatio.
Gut, gut; es wird nicht wiederkommen.

Bernardo.
Sezt euch ein wenig, wir wollen noch einmal einen Angriff auf eure
Ohren wagen, welche so stark gegen unsre Erzählung befestigt sind,
deren Inhalt wir doch zwo Nächte nach einander mit unsern Augen
gesehen haben.

Horatio.
Gut, wir wollen uns sezen, und hören was uns Bernardo davon sagen
wird.

Bernardo.
In der leztverwichnen Nacht, da jener nemliche Stern, der westwärts
dem Polar-Stern der nächste ist, den nemlichen Theil des Himmels wo
er izt steht, erleuchtete, sahen Marcellus und ich--die Gloke hatte
eben eins geschlagen--

Marcellus.
Stille, brecht ab--Seht, da kommt es wieder. (Der Geist tritt auf.)

Bernardo.
In der nemlichen Gestalt, dem verstorbnen König ähnlich.

Marcellus.
Du bist ein Gelehrter, Horatio, rede mit ihm.

Bernardo.
Sieht es nicht dem Könige gleich? Betrachte es recht, Horatio.

Horatio.
Vollkommen gleich; ich schauere vor Schreken und Erstaunung.

Marcellus.
Red' es an, Horatio.

Horatio.
Wer bist du, der du dieser nächtlichen Stunde, zugleich mit dieser
schönen Helden-Gestalt, worinn die Majestät des begrabnen Dähnen-
Königs einst einhergieng, dich anmassest? Beym Himmel beschwör'
ich dich, rede!

Marcellus.
Es ist unwillig.

Bernardo.
Seht! es schreitet hinweg.

Horatio.
Steh; rede; ich beschwöre dich, rede!

(Der Geist geht ab.)

Marcellus.
Es ist weg, und will nicht antworten.

Bernardo.
Was sagt ihr nun, Horatio? Ihr zittert und seht bleich aus. Ist
das nicht mehr als Einbildung? Was haltet ihr davon?

Horatio.
So wahr Gott lebt, ich würde es nicht glauben, wenn ich dem
fühlbaren Zeugniß meiner eignen Augen nicht glauben müßte.

Marcellus.
Gleicht es nicht dem Könige?

Horatio.
Wie du dir selbst. So war die nemliche Rüstung die er anhatte, als
er den ehrsüchtigen Norweger schlug; so faltete er die Augbraunen,
als er in grimmigem Zweykampf den Prinzen von Pohlen aufs Eis
hinschleuderte. Es ist seltsam--

Marcellus.
So ist es schon zweymal, und in dieser nemlichen Stunde, mit
kriegerischem Schritt, bey unsrer Wache vorbey gegangen.

Horatio.
Was ich mir für einen bestimmten Begriff davon machen soll, weiß
ich nicht; aber so viel ich mir überhaupt einbilde, bedeutet es
irgend eine ausserordentliche Veränderung in unserm Staat.

Marcellus.
Nun, Freunde, sezt euch nieder, und saget mir, wer von euch beyden
es weißt, warum eine so scharfe nächtliche Wache den Unterthanen
dieser ganzen Insel geboten ist? Wozu diese Menge von Geschüz und
Kriegs-Bedürfnissen, welche täglich aus fremden Landen anlangen?
Wozu diese Gedränge von Schiffs-Bauleuten, deren rastloser Fleiß
den Sonntag nicht vom Werk-Tag unterscheidet? Was mag bevorstehen,
daß die schwizende Eilfertigkeit die Nacht zum Tage nehmen muß, um
bald genug fertig zu werden? Wer kan mir hierüber Auskunft geben?

Horatio.
Das kan ich; wenigstens kan ich dir sagen, was man sich davon in
die Ohren flüstert. Unser verstorbner König, dessen Gestalt uns
nur eben erschienen ist, wurde, wie ihr wisset, von Fortinbras, dem
König der Norwegen, seinem Nebenbuhler um Macht und Ruhm, zum
Zweykampf herausgefodert: Unser tapfrer Hamlet (denn dafür hielt
ihn dieser Theil der bekannten Welt) erschlug seinen Gegner in
diesem Kampf, und dieser verlohr dadurch vermög eines vorher
besiegelten und nach Kriegs-Recht förmlich bekräftigten Vertrages,
alle seine Länder, als welche nun dem Sieger verfallen waren; eben
so wie ein gleichmässiger Theil von den Landen unsers Königs dem
Fortinbras und seinen Erben zugefallen seyn würde, wenn der Sieg
sich für ihn erklärt hätte. Nunmehro vernimmt man, daß sein Sohn,
der junge Fortinbras, in der gährenden Hize eines noch
ungebändigten Muthes, hier und da, an den Küsten von Norwegen einen
Hauffen heimathloser Wage-Hälse zusammengebracht, und um Speise und
Sold, zur Ausführung irgend eines kühnen Werkes gedungen habe:
Welches dann, wie unser Hof gar wol einsieht, nichts anders ist,
als die besagten von seinem Vater verwürkten Länder uns durch
Gewalt der Waffen wieder abzunehmen: Und dieses, denke ich, ist die
Ursach unsrer Zurüstungen, dieser unsrer Wache, und dieses hastigen
Gewühls im ganzen Lande.

Bernardo.
Vermuthlich ist es keine andre; und es mag wol seyn, daß eben darum
dieses schrekliche Gespenst, in Waffen, und in der Gestalt des
Königs, der an diesen Kriegen Ursach war und ist, durch unsre Wache
geht.

Horatio.
Es ist ein Zufall, welchem es schwer ist auf den Grund zu sehen.
In dem höchsten und siegreichesten Zeit-Punkt der Römischen
Republik, kurz zuvor eh der grosse Julius fiel, thaten die Gräber
sich auf; die eingeschleyerten Todten schrien in gräßlichen
ungeheuren Tönen durch die Strassen von Rom; Sterne zogen Schweiffe
von Feuer nach sich; es fiel blutiger Thau; der allgemeine Unstern
hüllte die Sonne ein, und der feuchte Stern, unter dessen
Einflüssen das Reich des Meer-Gottes steht, verfinsterte sich wie
zum Tage des Welt-Gerichts. Ähnliche Vorboten schrekenvoller
Ereignisse, Wunder-Zeichen, welche die gewöhnliche Vorredner
bevorstehender trauriger Auftritte sind, haben an Himmel und Erde
sich vereiniget, dieses Land in furchtsam Erwartung irgend eines
allgemeinen Unglüks zu sezen. (Der Geist tritt wieder auf.)

Aber stille, seht! Hier kommt es wieder zurük! Ich will ihm in
den Weg stehen, wenn es mir gleich alle meine Haare kosten sollte.
Steh, Blendwerk!

(Er breitet die Arme gegen den Geist aus.)

Wenn du fähig bist, einen vernehmlichen Ton von dir zu geben, so
rede mit mir. Wenn irgend etwas gutes gethan werden kan, das dir
Erleichterung und Ruhe, und mir das Verdienst eines guten Werkes
geben mag, so rede! Wenn du Wissenschaft von dem Schiksal deines
Landes hast, und es vielleicht, durch deine Vorhersagung noch
abgewendet werden könnte, o so rede!--Oder wenn du, in deinem Leben
unrechtmässig erworbene Schäze in den Mutterleib der Erde
aufgehäuft hast, um derentwillen, wie man glaubt, die Geister oft
nach dem Tode umgehen müssen, so entdek es.

(Ein Hahn kräht.)

Steh, und rede--Halt es auf, Marcellus--

Marcellus.
Soll ich mit meiner Partisane darnach schlagen?

Horatio.
Thu es, wenn es nicht stehen will.

Bernardo.
Hier ist es--

Horatio.
Izt ists hier--

Marcellus.
Weg ist's.

(Der Geist geht ab.)

Wir beleidigen die Majestätische Gestalt, die es trägt, wenn wir
Mine machen, als ob wir Gewalt dagegen brauchen wollen; und da es
nichts als Luft ist, so ist es ja ohnehin unverwundbar, und unsre
eiteln Streiche beweisen ihm nur unsern bösen Willen, ohne ihm
würklich etwas anzuhaben.

Bernardo.
Es war im Begriff zu reden, als der Hahn krähete.

Horatio.
Und da zitterte es hinweg, wie einer der sich eines Verbrechens
bewußt ist, bey einer fürchterlichen Aufforderung. Ich habe sagen
gehört, der Hahn, der die Trompete des Morgens ist, weke mit seiner
schmetternden, scharftönenden Gurgel den Gott des Tages auf, und,
auf sein Warnen, entfliehe in Wasser oder Feuer, Luft oder Erde,
jeder herumwandernde Geist in sein Bezirk zurük: Und daß dieses
wahr sey, beweiset was wir eben erfahren haben.

Marcellus.
Er verschwand sobald der Hahn krähete. Einige sagen, allemal um
die Zeit, wenn die Geburt unsers Erlösers gefeyert wird, krähe der
Vogel des Morgens die ganze Nacht durch: Und dann, sagen sie, gehe
kein Geist um; die Nächte seyen gesund, und die Planeten ohne
schädliche Influenzen; keine Fee könne einem beykommen, keine Hexe
habe Gewalt zu Zauber-Wirkungen; so heilig und segensvoll sey diese
Zeit.

Horatio.
Das hab ich auch gehört, und glaub es auch zum Theil. Aber seht,
der Morgen, in einen rothen Mantel eingehüllt, wandelt über jenen
emporragenden östlichen Hügel durch den Thau; wir wollen von unsrer
Wache abziehen; und wenn ihr meiner Meynung seyd, so laßt uns dem
jungen Hamlet entdeken, was wir diese Nacht gesehen haben. Ich
wollte mein Leben dran sezen, dieser Geist, so stumm er für uns ist,
wird für ihn eine Sprache bekommen. Seyd ihrs zufrieden, daß wir
ihm, aus Antrieb unsrer Liebe und Pflicht gegen ihn, Nachricht
davon geben?

Marcellus.
Thut es, ich bitte euch: Wir werden diesen Morgen schon erfahren,
wo wir ihn zur gelegensten Zeit sprechen können.

(Sie gehen ab.)






Zweyte Scene.
(Verwandelt sich in den Palast.)
(Claudius, König von Dännemark, Gertrude die Königin, Hamlet,
Polonius, Laertes, Voltimand, Cornelius, und andre Herren vom Hofe,
nebst Trabanten und Gefolge treten auf.)


König.
Ungeachtet, bey dem noch frischen Andenken von Hamlets, unsers
theuren Bruders, Tode, sichs geziemen will, daß wir unsre Herzen in
Trauer hüllen, und das Antliz unsers ganzen Königreichs in
allgemeinen Schmerz zusammengezogen sey: So haben wir doch der
Klugheit so viel über die Natur verstattet, daß wir, unter dem
gerechten Schmerz über seinen Verlust, nicht gänzlich unsrer selbst
vergessen. Wir haben also unsre vormalige Schwester, nunmehr unsre
Königin, als die gebietende Mitregentin dieses kriegerischen
Reiches, wiewol mit niedergeschlagner Freude, das eine Auge von
hochzeitlicher Freude glänzend, das andere von Thränen
überfliessend, und mit einer in gleichen Waag-Schalen gegen unsern
Schmerz abgewognen Lust, zur Gemahlin erkießt. Auch haben wir
nicht unterlassen, uns hierinn euers guten Raths zu bedienen, und
erkennen mit gebührendem Danke, daß ihr uns in diesem ganzen
Geschäfte durch eure einsichtsvollen Rathschläge so frey und
gutwillig unterstüzt habt. Nun ist noch übrig euch zu eröffnen,
daß der junge Fortinbras, aus einer allzuleichtsinnigen Berechnung
unsrer Kräfte, oder weil er sich vielleicht einbildet, daß der Tod
unsers abgelebten Bruders unsern Staat verrenkt und aus seiner
Fassung gesezt habe, ohne einen andern Beystand als diesen Traum
eines eingebildeten Vortheils über uns, sich hat zu Sinne kommen
lassen, uns durch eine Abschikung zu behelligen, welche nichts
geringers als die Zurükgabe aller der Länder fordert, die sein
Vater, nach allen Gesezen des Kriegs-Rechts, an unsern
heldenmüthigen Bruder verlohren hatte. So viel von ihm--Nunmehr zu
uns selbst, und dem besondern Zwek der gegenwärtigen Versammlung!--
Wir haben hier an den alten Prinzen von Norwegen, den Oheim des
jungen Fortinbras (welcher, unvermögend und bettlägerig wie er ist,
nichts von diesem Vorhaben seines Neffen weiß) zu dem Ende
geschrieben, damit er dessen weitern Fortgang hintertreiben möge:
Es sind alle Umstände, die Anzahl seiner angeworbnen Truppen, die
Namen der angesehensten Theilnehmer seines Vorhabens, und seine
ganze Stärke hierinn enthalten: Und nunmehr ernennen wir euch,
Voltimand, und euch, wakrer Cornelius, dem alten Norwegen diesen
unsern Gruß zu überbringen. Die persönliche Vollmacht die wir euch
ertheilen, mit diesem Prinzen zu handeln, erstrekt sich nicht
weiter, als die besondern Artikel dieser schriftlichen Instruction
euch anweisen werden. Gehabt euch also wol, und beweiset uns eure
Treue durch eine schleunige Ausrichtung.

Voltimand.
Hierinn, so wie bey allen andern Gelegenheiten, werden wir unsre
Schuldigkeit thun.

König.
Wir zweifeln nicht daran; gehabt euch wol.

(Voltimand und Cornelius gehen ab.)

Und nun, Laertes, was bringt ihr uns neues? Ihr sagtet uns was
von einer Bitte. Was ist es, Laertes? Ihr könnet nichts billiges
von euerm Könige begehren, das euch versagt werden sollte. Was
kanst du verlangen, Laertes, das ich dir nicht schon bewilligen
sollte, eh du es begehrt hast? Das Haupt ist dem Herzen nicht
unentbehrlicher, noch dem Mund der Dienst der Hand, als es dein
Vater dem Throne von Dännemark ist. Was willst du haben, Laertes?

Laertes.
Mein gebietender Herr, eure gnädige Bewilligung nach Frankreich
zurükkehren zu dürfen, von wannen ich zwar aus eigner Bewegung nach
Dännemark gekommen bin, um bey Eurer Krönung meine Schuldigkeit zu
beweisen; nun aber, ich gesteh es, da diese Pflicht erstattet ist,
drehen sich alle meine Gedanken und Wünsche wieder nach Frankreich
um, und beugen sich, um Eurer Majestät Gnädigste Erlaubniß und
Vergebung zu erhalten.

König.
Habt ihr euers Vaters Einwilligung? Was sagt Polonius dazu?

Polonius.
Gnädigster Herr, er hat mir durch unablässiges Bitten meine
Erlaubniß abgedrungen; und, weil ich nicht anders konnte, so drükte
ich seinem Willen endlich das Siegel meiner Einwilligung auf. Ich
bitte euch, ihm auch die eurige zu ertheilen.

König.
Reise in einer glüklichen Stunde ab, Laertes, und bestimme die Zeit
deiner Abwesenheit nach deinem Willen, und der Erforderniß deiner
lobenswürdigen Absichten--Und nun ein Wort mit euch, Vetter Hamlet--
Mein geliebter Sohn--

Hamlet (vor sich.)
Lieber nicht so nah befreundt, und weniger geliebt.

König.
Woher kommt es, daß immer solche Wolken über euch hangen?

Hamlet.
Es ist nicht das, Gnädigster Herr; ich bin zuviel in der Sonne.

Königin.
Lieber Hamlet, leg einmal diese nächtliche Farbe ab, und sieh aus,
wie ein Freund von Dännemark. Geh nicht immer so mit gesenkten
halbgeschlossnen Augen, als ob du deinen edeln Vater im Staube
suchest. Du weissest ja, es ist das allgemeine Schiksal; alle,
welche leben, müssen sterben--

Hamlet.
Ja, Madame, es ist das allgemeine Schiksal.

Königin.
Wenn es denn so ist, warum scheint es dir denn so ausserordentlich?

Hamlet.
Scheint, Madame? Nein, es ist; bey mir scheint nichts. Es ist
nicht bloß dieser schwarze Rok, meine liebe Mutter, nicht das
Gepränge einer Gewohnheits-mässigen Trauer, noch das windichte
Zischen erkünstelter Seufzer, nicht das immer-thränende Auge, noch
das niedergeschlagene Gesicht, noch irgend ein anders äusserliches
Zeichen der Traurigkeit, was den wahren Zustand meines Herzens
sichtbar macht. Diese Dinge scheinen, in der That; denn es sind
Handlungen, die man durch Kunst nachmachen kan; aber was ich
innerlich fühle, ist über allen Ausdruk; jenes sind nur die Kleider
und Verzierungen des Schmerzens.

König.
Es ist ein rühmlicher Beweis eurer guten Gemüths-Art, Hamlet, daß
ihr euern abgelebten Vater so beweinet: Aber ihr müsset nicht
vergessen, daß euer Vater auch einen Vater verlohr, und dieser
Vater den seinigen; den überlebenden verband die kindliche Pflicht,
mit Ziel und Maaß um seinen verstorbnen zu trauern: Aber in
hartnäkiger Betrübniß immerfort zu beharren, ist unmännliche
Schwachheit oder gottlose Unzufriedenheit mit den Fügungen des
Himmels; ein Zeichen eines ungeduldigen, feigen Gemüths, oder eines
schwachen und ungebildeten Verstandes. Denn warum sollen wir etwas,
wovon wir wissen daß es seyn muß, und daß es so gemein ist als
irgend eine von den alltäglichen Sachen die immer vor unsern Sinnen
schweben, aus verkehrtem kindischem Eigensinn, zu Herzen nehmen?
Fy! Es ist ein Vergehen gegen den Himmel, ein Vergehen gegen den
Gestorbnen, ein Vergehen gegen die Natur; höchst ungereimt in den
Augen der Vernunft, welche kein gemeineres Thema kennt, als den Tod
von Vätern, und von der ersten Leiche bis zu dem der eben izt
gestorben ist, uns immer zugeruffen hat, es müsse so seyn. Wir
bitten euch also, werfet diese zu nichts dienende Traurigkeit in
sein Grab, und sehet künftig uns als euern Vater an; denn die Welt
soll es wissen, daß ihr unserm Thron der nächste seyd, und daß die
Liebe, die der zärtlichste Vater zu seinem Sohne tragen kan, nicht
grösser ist als diejenige, welche wir euch gewiedmet haben. Was
euer Vorhaben, nach der Schule zu Wittenberg zurük zu gehen betrift,
so stimmt es gar nicht mit unsern Wünschen ein, und wir bitten
euch davon abzustehen, und unter unsern liebesvollen Augen hier zu
bleiben, unser erster Höfling, unser Neffe, und unser Sohn.

Königin.
Laß deine Mutter keine Fehlbitte thun, Hamlet; ich bitte dich,
bleibe bey uns, geh nicht nach Wittenberg.

Hamlet.
Ich gehorche euch mit dem besten Willen, Madame.

König.
Nun, das ist eine schöne liebreiche Antwort; seyd wie wir selbst in
Dännemark! Kommet, Madame; diese gefällige und ungezwungne
Einstimmung Hamlets ist mir so angenehm, daß dieser Tag ein
festlicher Tag der Freude seyn soll--Kommt, folget mir--

(Sie gehen ab.)






Dritte Scene.


Hamlet (bleibt allein.)
O daß dieses allzu--allzu--feste Fleisch schmelzen und in Thränen
aufgelöst zerrinnen möchte! Oder daß Er, der Immerdaurende, seinen
Donner nicht gegen den Selbst-Mord gerichtet hätte! O Gott! o
Gott! Wie ekelhaft, schaal, abgestanden und ungeschmakt kommen mir
alle Freuden dieser Welt vor! Fy, fy, mir graut davor! Es ist ein
ungesäuberter Garten, wo alles in Saamen schießt, und mit Unkraut
und Disteln überwachsen ist. Daß es dahin gekommen seyn soll! Nur
zween Monate todt! Nein, nicht einmal so viel; nicht so viel--Ein
so vortrefflicher König--gegen diesen, wie Apollo gegen einen Satyr:
Der meine Mutter so zärtlich liebte, daß kein rauhes Lüftchen sie
anwehen durfte--Himmel und Erde! Warum muß mir mein Gedächtniß so
getreu seyn? Wie, hieng sie nicht an ihm, als ob selbst die
Nahrung ihrer Zärtlichkeit ihren Hunger vermehre?--und doch, binnen
einem Monat--Ich will, ich darf nicht dran denken--Gebrechlichkeit,
dein Nam' ist Weib! Ein kleiner Monat! Eh noch die Schuhe
abgetragen waren, in denen sie meines armen Vaters Leiche folgte,
gleich der Niobe lauter Thränen--Wie? Sie--eben sie--(o Himmel!
ein vernunftloses Thier würde länger getraurt haben) mit meinem
Oheim verheyrathet--Meines Vaters Bruder; aber meinem Vater gerade
so gleich als ich dem Hercules. Binnen einem Monat!--Eh noch das
Salz ihrer heuchelnden Thränen ihre rothen Augen zu jüken aufgehört,
verheyrathet!--So eilfertig, und in ein blutschänderisches Bette!--
Nein, es ist nichts Gutes, und kan zu nichts Gutem ausschlagen.
Aber--o brich du, mein Herz, denn meine Zunge muß ich schweigen
heissen.




Vierte Scene.
(Horatio, Bernardo und Marcellus treten auf.)


Horatio.
Heil, Gnädigster Prinz!

Hamlet.
Ich erfreue mich, euch wohl zu sehen--Ihr seyd Horatio, oder ich
vergesse mich selbst.

Horatio.
Ich bin Horatio, Gnädiger Herr, und euer demüthiger Diener auf ewig.

Hamlet.
Sir, mein guter Freund; das soll künftig das Verhältniß unter uns
seyn. Und was führt euch von Wittenberg hieher, Horatio?--Ist das
nicht Marcellus? --

Marcellus.
Ja, Gnädigster Herr.

Hamlet.
Ich bin erfreut euch zu sehen; guten Morgen, Sir

(zu Bernardo)

--Aber, im Ernste, Horatio, was bringt euch von Wittenberg hieher?

Horatio.
Ein Anstoß von Landstreicherey, mein Gnädigster Herr.

Hamlet.
Das möchte ich euern Feind nicht sagen hören, auch sollt ihr meinen
Ohren die Gewalt nicht anthun, sie zu Zeugen einer solchen Aussage
gegen euch selbst zu machen. Ich weiß, ihr seyd kein Müssiggänger.
Was ist euer Geschäfte in Elsinoor? Wir müssen euch trinken
lehren, eh ihr wieder abreiset.

Horatio.
Gnädigster Herr, ich kam, euers Vaters Leichenbegängniß zu sehen.

Hamlet.
Ich bitte dich, spotte meiner nicht, Schul-Camerade: ich denke, du
kamst vielmehr auf meiner Mutter Hochzeit.

Horatio.
Die Wahrheit zu sagen, Gnädigster Herr, sie folgte schnell hinter
drein.

Hamlet.
Das war aus lauter Häuslichkeit, mein guter Horatio--Um die Braten,
die von dem Leichenmahl übrig geblieben, bey der Hochzeit kalt
auftragen zu können--O Horatio, lieber wollt' ich meinen ärgsten
Feind im Himmel gesehen, als diesen Tag erlebt haben--Mein Vater--
mich däucht, ich sehe meinen Vater--

Horatio (lebhaft.)
Wo, Gnädiger Herr?

Hamlet.
In den Augen meines Gemüths, Horatio.

Horatio.
Ich sah ihn einmal; er war ein stattlicher Fürst.

Hamlet.
Sag', er war ein Mann, in allen Betrachtungen ein Mann, so hast du
alles gesagt; seines gleichen werd' ich niemal sehen.

Horatio.
Gnädigster Herr, ich denke ich sah ihn verwichne Nacht.

Hamlet.
Du sahest ihn? Wen?

Horatio.
Den König, euern Vater.

Hamlet.
Den König, meinen Vater?

Horatio.
Mässiget eure Verwunderung nur so lange, und leihet mir ein
aufmerksames Ohr, bis ich, auf das Zeugniß dieser wakern Männer
hier, euch das Wunder erzählt haben werde.

Hamlet.
Um des Himmels willen, laß mich's hören.

Horatio.
Zwo Nächte auf einander haben diese beyden Officiers, Marcellus und
Bernardo, auf der Wache, in der todten Stille der Mitternacht,
diesen Zufall gehabt: Eine Gestalt, die euerm Vater glich, vom Kopf
zu Fuß, Stük vor Stük bewaffnet, erscheint vor ihnen, und geht mit
feyerlichem Gang, langsam und majestätisch bey ihnen vorbey;
dreymal gieng er vor ihren von Furcht starrenden Augen, mit seinem
langen Stok in der Hand, hin und her; indeß daß sie, von Schreken
beynahe in Gallerte aufgelöst, ganz unbeweglich stuhnden, und den
Muth nicht hatten ihn anzureden. Sie entdekten mir diesen Zufall
in Geheim, und bewogen mich dadurch in vergangner Nacht mit ihnen
auf die Wache zu ziehen; und hier sah ich um die nemliche Zeit,
diese nemliche Erscheinung, von Wort zu Wort, wie sie mir selbige
beschrieben hatten. Ich erkannte euern Vater: Diese Hände sind
einander nicht ähnlicher.

Hamlet.
Und wo geschahe das?

Horatio.
Gnädiger Herr, auf der Terrasse, wo wir die Wache hatten.

Hamlet.
Habt ihr es nicht angeredet?

Horatio.
Ich that es, Gnädiger Herr, aber es gab mir keine Antwort; nur ein
einziges mal kam mir's vor, es hebe den Kopf auf, und mache eine
Bewegung als ob es reden wolle: Aber in dem nemlichen Augenblik
krähte der Hahn, und da zittert' es plözlich weg, und verschwand
aus unserm Gesicht.

Hamlet.
Das ist was sehr Wunderbares!

Horatio.
So wahr ich lebe, Gnädiger Herr, so ist es; und wir hielten es für
unsre Schuldigkeit, euch Nachricht davon zu geben.

Hamlet.
In der That, ihr Herren, ich muß es bekennen, ich bin unruhig
hierüber.

(Zu Marcellus und Bernardo.)

Habt ihr die Wache diese Nacht?

Beyde.
Ja, Gnädiger Herr.

Hamlet.
Es war bewaffnet, sagt ihr?

Beyde.
Bewaffnet, Gnädiger Herr.

Hamlet.
Von Fuß zu Kopf?

Beyde.
Ja, Gnädiger Herr.

Hamlet.
So konntet ihr ja sein Gesicht nicht sehen?

Horatio.
O ja, Gnädiger Herr; er trug sein Visier aufgezogen.

Hamlet.
Sagt mir, sah er ungehalten aus?

Horatio.
Seine Gebehrdung schien mehr Traurigkeit als Zorn auszudrüken.

Hamlet.
Bleich oder roth?

Horatio.
Sehr bleich.

Hamlet.
Und sah er euch ins Gesicht?

Horatio.
Sehr starr.

Hamlet.
Ich wollte, daß ich dabey gewesen wäre.

Horatio.
Es würde euch in kein geringes Schreken gesezt haben.

Hamlet.
Sehr vermuthlich; blieb es lange?

Horatio.
So lange man brauchte, um mit mässiger Geschwindigkeit Hundert zu
zählen.

Beyde.
Länger, Länger.

Horatio.
Als ich es sah, nicht.

Hamlet.
War sein Bart grau? Nein--


Horatio.
Das war er, so wie ich ihn in seinem Leben gesehen habe, silbergrau.

Hamlet.
Ich will mit euch auf die Wache, diese Nacht; vielleicht geht es
wieder.

Horatio.
Ich bin euch gut dafür, das wird es.

Hamlet.
Wenn es meines ehrwürdigen Vaters Gestalt annimmt, so will ich mit
ihm reden, wenn gleich die Hölle selbst ihren Schlund aufreissen
und mich schweigen heissen würde. Ich bitte euch, wofern ihr diese
Erscheinung bisher geheim gehalten habet, so laßt es immer ein
Geheimniß unter uns bleiben; es mag heute Nacht begegnen was da
will, beobachtet es, aber schweigt. Ich will erkenntlich für eure
Freundschaft seyn: Nun, gehabt euch wol. Zwischen eilf und zwölf
Uhr, auf der Terrasse, will ich euch besuchen.

Alle.
Eure demüthige Knechte, Gnädiger Herr--

(Sie gehen ab.)

Hamlet.
Meine Freunde, wie ich der eurige: Lebet wohl.

(Allein.)

Meines Vaters Geist in Waffen! Es ist nicht alles wie es seyn
soll! Ich besorge irgend eine verdekte Übelthat: Wenn nur die
Nacht schon da wäre! Bis dahin, size still, meine Seele:
Schändliche Thaten müssen ans Licht kommen, und wenn der ganze
Erdboden über sie hergewälzt wäre.




Fünfte Scene.
(Verwandelt sich in ein Zimmer in Polonius Hause.)
(Laertes und Ophelia treten auf.)


Laertes.
Mein Geräthe ist eingepakt, lebet wohl Schwester, und wenn die
Winde meiner Reise günstig sind, so verschlaft mein Andenken nicht,
sondern laßt mich Nachrichten von euch haben.

Ophelia.
Wie könnt ihr daran zweifeln?

Laertes.
Was den Hamlet und die Tändeley seiner Liebe betrift, haltet sie
für einen flüchtigen Geschmak, und ein Spiel des jugendlichen
Blutes; ein Veilchen in den ersten Frühlings-Tagen der Natur,
frühzeitig aber nicht dauerhaft; angenehm, aber hinfällig; ein
lieblicher Geruch für eine Minute; nicht mehr--

Ophelia.
Nicht mehr als das?

Laertes.
Glaubt mir, nicht mehr, liebe Schwester. Wir nehmen in unsrer
Jugend nicht nur an Grösse und Stärke zu; die Seele wächßt mit, und
ihre innerliche Verrichtungen und Pflichten dehnen sich mit ihrem
Tempel aus. Vielleicht liebt er euch izt aufrichtig, mit der
reinen Zuneigung eines noch unverdorbnen Herzens: Aber ihr müßt
bedenken, daß, sobald er seine Grösse in Erwägung ziehen wird,
seine Neigung nicht mehr in seiner Gewalt ist: Denn er selbst hangt
von seiner Geburt ab; er darf nicht für sich selbst wählen, wie
gemeine Leute: Die Sicherheit und das Wohl des Staats hängt an
seiner Wahl, und daher muß sich seine Wahl nach der Stimme und den
Wünschen des Körpers, wovon er das Haupt ist, bestimmen. Wenn er
also sagt, er liebe euch, so kömmt es eurer Klugheit zu, ihm in so
weit zu glauben, als er nach seiner Geburt und künftigen Würde,
seinen Worten Kraft geben kan; und das ist nicht mehr, als wozu er
die Einwilligung des Königs erhalten kan. Überleget also wol, was
für einen grossen Verlust eure Ehre leiden kan, wenn ihr seinem
lokenden Gesang ein zu leichtgläubiges Ohr verleihet; entweder ihr
verliehrt euer Herz, oder sein Ungestüm, den zulezt nichts mehr
zurükhalten wird, sieget gar über eure Keuschheit. Fürchtet es,
Ophelia, fürchtet es, meine theure Schwester; steuret einer noch
unschuldigen Neigung, die so gefährlich ist, und überlaßt euch
nicht dem Strom schmeichelnder Wünsche. Das gefälligste Mädchen
ist verschwenderisch genug, wenn sie ihre keusche Schönheit dem
Mond entschleyert: Die Tugend selbst ist vor den Bissen der
Verläumdung nicht sicher; nur allzu oft frißt ein verborgner Wurm
die Kinder des Frühlings, bevor ihre Knospen sich entwikelt haben;
und mengender Meel-Thau ist nie mehr zu besorgen als im Thauvollen
Morgen der Jugend. Seyd also vorsichtig; hier giebt Furcht die
beste Sicherheit; die Jugend hat einen Feind in sich selbst, wenn
sie auch keinen von aussen hat.

Ophelia.
Ich werde diese guten Erinnerungen zu immer wachsamen Hütern meines
Herzens machen. Aber, mein lieber Bruder, macht es ja nicht, wie
manche ungeheiligte Seelen-Hirten, die euch den engen und
dornichten Pfad zum Himmel weisen, indessen daß sie selbst, ihrer
eignen Lehren uneingedenk, in ruchloser Freyheit auf dem breiten
Frühlings-Wege der Üppigkeit dahertraben.

Laertes.
O, davor seyd unbekümmert.




Sechste Scene.
(Polonius zu den Vorigen.)


Laertes.
Ich halte mich zulang auf--Aber hier kommt mein Vater: Desto besser;
ich werde seinen Abschieds-Segen gedoppelt erhalten.

Polonius.
Du bist noch hier, Laertes! Zu Schiffe, zu Schiffe, mein Sohn; der
Wind schwellt eure Segel schon, und man wartet auf euch. Hier,
empfange meinen Segen,

(Er legt seine Hand auf Laertes Haupt)

und diese wenigen Lebens-Regeln, womit ich ihn begleite, schreib
in dein Gedächtniß ein. Gieb deinen Gedanken keine Zunge, und wenn
du je von unregelmässigen überrascht wirst, so hüte dich wenigstens,
sie zu Handlungen zu machen: Sey gegen jedermann leutselig, ohne
dich mit jemand gemein zu machen: Hast du bewährte Freunde gefunden,
so hefte sie unzertrennlich an deine Seele; aber gieb deine
Freundschaft nicht jeder neuausgebruteten, unbefiederten
Bekanntschaft preiß. Hüte dich vor den Gelegenheiten zu Händeln;
bist du aber einmal darinn, so führe dich so auf, daß dein Gegner
nicht hoffen könne, dich ungestraft zu beleidigen. Leih' dein Ohr
einem jeden, aber wenigen deinen Mund; nimm jedermanns Tadel an,
aber dein Urtheil halte zurük. Kleide dich so kostbar als es dein
Beutel bezahlen kan, aber nicht phantastisch; reich, nicht
comödiantisch: Denn der Anzug verräth oft den Mann, und in
Frankreich pflegen Leute von Stand und Ansehen sich gleich dadurch
anzukündigen, daß sie sich mit Geschmak und Anstand kleiden. Sey
weder ein Leiher noch ein Borger; denn durch Leihen richtet man oft
sich selbst und seinen Freund zu Grunde; und borgen untergräbt das
Fundament einer guten Haushaltung. Vor allem, sey redlich gegen
dich selbst, denn daraus folget so nothwendig als das Licht dem
Tage, daß du es auch gegen jedermann seyn wirst. Lebe wohl, mein
Sohn; mein Segen befruchte diese Erinnerungen in deinem Gemüthe!

Laertes.
Ich beurlaube mich demüthigst von euch, Gnädiger Herr Vater.

Polonius.
Du hast hohe Zeit; geh, deine Bediente warten--


Laertes.
Lebet wohl, Ophelia, und erinnert euch dessen was ich gesagt habe.

Ophelia.
Es ist in mein Gedächtniß verschlossen, und ihr sollt den Schlüssel
dazu mit euch nehmen.

Laertes.
Lebet wohl.

(Er geht ab.)

Polonius.
Was sagte er denn zu euch, Ophelia?

Ophelia.
Mit Eu. Gnaden Erlaubniß, etwas, das den Prinzen Hamlet angieng.

Polonius.
Wahrhaftig, ein guter Gedanke! Ich habe mir sagen lassen, daß er
euch seit einiger Zeit ziemlich oft allein gesprochen habe, und daß
ihr ihm einen sehr freyen Zutritt verstattet, und geneigtes Gehör
gegeben habt. Wenn es so ist, (wie es mir dann von sichrer Hand
zukommt) so muß ich euch sagen, daß ihr euch selbst nicht so gut
versteht, als es meiner Tochter und eurer Ehre geziemt. Was ist
denn zwischen euch? Sagt mir die reine Wahrheit.

Ophelia.
Gnädiger Herr Vater, er hat mir zeither verschiedene Erklärungen
von seiner Zuneigung gemacht.

Polonius.
Von seiner Zuneigung? He! Ihr sprecht wie ein junges Ding, das
noch keine Erfahrung von dergleichen gefährlichen Dingen hat.
Glaubt ihr denn seine Erklärungen, wie ihr es nennt?

Ophelia.
Ich weiß nicht was ich denken soll, Herr Vater.

Polonius.
Potz hundert! Das will ich dich lehren; denk du seyst ein
Kindskopf, daß du seine Erklärungen für baar Geld genommen hast, da
sie doch falsche Münze sind. Du must bessere Sorge zu dir selbst
haben, oder ich werde wenig Freude an dir erleben--

Ophelia.
Gnädiger Herr Vater, er bezeugt zwar eine heftige Liebe zu mir,
aber in Ehren--

Polonius.
Ja, in Thorheit solltest du sagen; geh, geh--

Ophelia.
Und hat seine Worte durch die feyrlichsten und heiligsten Schwüre
bekräftiget.

Polonius.
Ja, Schlingen, um Schnepfen zu fangen. Ich weiß wie
verschwendrisch das Herz in Schwüre aussprudelt, wenn das Blut in
Flammen ist. Mein gutes Kind, du must diese Aufwallungen nicht für
wahres Feuer halten; sie sind wie das Wetterleuchten an einem
kühlen Sommer-Abend, sie leuchten ohne Hize, und verlöschen so
schnell als sie auffahren. Von dieser Stunde an seyd etwas
sparsamer mit dem Zutritt zu eurer Person; sezt eure Conversationen
auf einen höhern Preiß als einen Befehl, daß man euch sprechen
wolle. Was den Prinzen Hamlet betrift, so glaubt so viel von ihm,
daß er jung ist; und daß er sich mehr Freyheit herausnehmen darf,
als der Wolstand euch zuläßt. Mit einem Wort, Ophelia, trauet
seinen Schwüren nicht; desto weniger, je feyrlicher sie sind; sie
hüllen sich, gleich den Gelübden, die oft dem Himmel dargebracht
werden, in Religion ein, um desto sichrer zu betrügen. Einmal für
allemal: Ich möchte nicht gern, deutlich zu reden, daß du nur einen
einzigen deiner Augenblike in den Verdacht seztest, als wißtest du
ihn nicht besser anzuwenden, als mit dem Prinzen Hamlet Worte zu
wechseln. Merk dir das, ich sag dir's; und geh in dein Zimmer.

Ophelia.
Ich will gehorsam seyn, Gnädiger Herr Vater.

(Sie gehen ab.)






Siebende Scene.
(Verwandelt sich in die Terrasse vor dem Palast.)
(Hamlet, Horatio und Marcellus treten auf.)


Hamlet.
Die Luft schneidt entsezlich; es ist grimmig kalt.

Horatio.
Es ist eine beissende, scharfe Luft.

Hamlet.
Wie viel ist die Gloke?

Horatio.
Ich denke, es ist bald zwölfe.

Marcellus.
Nein, es hat schon geschlagen.

Horatio.
Ich hörte es nicht: Es ist also nah um die Zeit, da der Geist zu
gehen pflegt.

(Man hört eine kriegrische Musik hinter der Scene.)

Was hat das zu bedeuten, Gnädiger Herr?

Hamlet.
Der König hält Tafel, und verlängert den Schmaus, wie es scheint,
in die tiefe Nacht, und so oft er den vollen Becher mit Rhein-Wein
auf einen Zug ausleert, verkündigen Trompeten und Kessel-Pauken den
Sieg, den Seine Majestät davon getragen hat.

Horatio.
Ist das so der Gebrauch?

Hamlet.
Ja, zum Henker, das ist es; aber nach meiner Meynung, ob ich gleich
ein Dähne und zu diesem Gebrauch gebohren bin, ein Gebrauch der mit
größrer Ehre gebrochen als gehalten wird. Diese taumelnden Trink-
Gelage machen uns in Osten und Westen verächtlich, und werden uns
von den übrigen Völkern als ein National-Laster vorgeworffen: Sie
nennen uns Säuffer, und sezen schweinische Beywörter dazu, die uns
wenig Ehre machen; und in der That, der Ruf worinn wir deßwegen
stehen, nimmt unsern Thaten, so groß und rühmlich sie sonst sind,
ihren schönsten Glanz. In diesem Stüke geht es oft ganzen Völkern
wie einzelnen Leuten, welche um irgend eines Natur-Fehlers willen,
als etwann wegen der angebohrnen Obermacht eines gewissen
Temperaments (woran sie doch keine Schuld haben, da sich niemand
seine ursprüngliche Anlage selber auswählen kan,) welches sie
manchmal durch den Zaun der Vernunft durchbrechen macht; oder wegen
irgend einer angewöhnten Manier, einer Grimasse oder so etwas,
welches mit dem eingeführten Wohlstand einen allzugrossen Absaz
macht--ich sage, daß solche Leute um eines einzigen solchen Fehlers
willen, es mag nun seyn, daß die Natur oder ein Zufall Schuld daran
habe, sich's gefallen lassen müssen, ihre guten Eigenschaften, so
groß und zahlreich sie immer seyn mögen, in dem Urtheil der Welt
abgewürdiget zu sehen. (Der Geist tritt auf.)

Horatio.
Hier, Gnädiger Herr; seht, es kommt.

Hamlet.
Ihr Engel und himmlischen Mächte alle, schüzet uns! Du magst nun
ein guter Geist oder ein verdammter Kobolt seyn, du magst
himmlische Lüfte oder höllische Dämpfe mit dir bringen, und in
wohlthätiger oder schädlicher Absicht gekommen seyn; die Gestalt
die du angenommen hast, ist so ehrwürdig, daß ich mit dir reden
will. Ich will dich Hamlet, ich will dich meinen König, meinen
Vater nennen: O, antworte mir; laß mich nicht in einer Unwissenheit,
die mir das Leben kosten würde: Sage, warum haben deine
geheiligten Gebeine ihr Behältniß durchbrochen? Warum hat das Grab,
worein wir dich zu deiner Ruhe bringen sahen, seinen schweren
marmornen Rachen aufgethan, um dich wieder auszuwerfen? Was mag
das bedeuten, daß du, ein todter Leichnam, in vollständiger Rüstung
den Mondschein wieder besuchst, um die Nacht mit Schreknissen zu
erfüllen, und unser Wesen auf eine so entsezliche Art mit Gedanken
zu erschüttern, die über die Schranken unsrer Natur gehen.

(Der Geist winkt dem Hamlet.)

Horatio.
Es winkt euch, mit ihm zu gehen, als ob es euch etwas allein zu
sagen habe.

Marcellus.
Seht, wie freundlich es euch an einen entferntern Ort winkt: Aber
geht ja nicht mit ihm.

Horatio (Den Hamlet zurükhaltend.)
Nein, um alles in der Welt nicht.

Hamlet.
Weil es nicht reden will, so will ich ihm folgen.

Horatio.
Das thut nicht, Gnädiger Herr.

Hamlet.
Und warum nicht? Wofür sollt' ich mir fürchten? Mein Leben ist
mir um eine Stek-Nadel feil, und was kan es meiner Seele thun, die
ein unsterbliches Wesen ist wie es selbst?--Es winkt mir wieder weg--
ich will ihm folgen--

Horatio.
Und wie dann, Gnädiger Herr, wenn es euch an die Spize des Felsens
führte, der sich dort über die See hinaus bükt, und dann eine noch
fürchterlichere Gestalt annähme, welche euern Verstand verwirren
und in sinnloser Betäubung euch in die Tiefe hinunter stürzen
könnte? Denket an diß! Der Ort allein, ohne daß noch andere
Ursachen dazu kommen dürfen, könnte einem, der so viele Faden tief
in die See hinab schaute, und sie von unten herauf so gräßlich
heulen hörte, einen Anstoß von Schwindel geben.

Hamlet.
Es winkt mir noch immer: Geh nur voran, ich will dir folgen.

Marcellus.
Wir lassen euch nicht gehen, Gnädiger Herr.

Hamlet.
Zurük mit euern Händen!

Marcellus.
Laßt euch rathen, ihr sollt nicht gehen.

Hamlet.
Mein Verhängniß ruft; seine Stimme macht jede kleine Ader in diesem
Körper so stark, als den Nerven des Nemeischen Löwens: Er ruft mir
noch immer: Laßt eure Hände von mir ab, ihr Herren--

(Er reißt sich von ihnen los.)

Beym Himmel, ich will ein Gespenst aus dem machen, der mich halten
will--Weg, sag ich--Geht--Ich will mit dir gehen--

(Hamlet und der Geist gehen ab.)

Horatio.
Seine Einbildung ist so erhizt, daß er nicht weiß was er thut.

Marcellus.
Wir wollen ihm folgen; bey einer solchen Gelegenheit wär' es wider
unsre Pflicht, gehorsam zu seyn.

Horatio.
Das wollen wir--Was wird noch endlich daraus werden?

Marcellus.
Es muß ein verborgnes Übel im Staat von Dännemark liegen.

Horatio.
Der Himmel wird alles leiten.

Marcellus.
Fort, wir wollen ihm nachgehen.

(Sie gehen ab.)






Achte Scene.
(Verwandelt sich in einen entferntern Theil der Terrasse.)
(Der Geist und Hamlet treten wieder auf.)


Hamlet.
Wohin willt du mich fuhren? Rede; ich gehe nicht weiter.

Geist.
Höre mich an.

Hamlet.
Das will ich.

Geist.
Die Stunde rükt nah herbey, da ich in peinigende Schwefel-Flammen
zurükkehren muß.

Hamlet.
Du daurst mich, armer Geist!

Geist.
Bedaure mich nicht, sondern höre aufmerksam an, was ich dir
entdeken werde.

Hamlet.
Rede, ich bin schuldig, zu hören--

Geist.
Und zu rächen, was du hören wirst.

Hamlet.
Was?

Geist.
Ich bin der Geist deines Vaters, verurtheilt eine bestimmte Zeit
bey Nacht herum zu irren, und den Tag über eng eingeschlossen in
Flammen zu schmachten, bis die Sünden meines irdischen Lebens
durchs Feuer ausgebrannt und weggefeget sind. Wäre mirs nicht
verboten, die Geheimnisse meines Gefängnisses zu entdeken, ich
könnte eine Erzählung machen, wovon das leichteste Wort deine Seele
zermalmen, dein Blut erstarren, deine zwey Augen, wie Sterne, aus
ihren Kreisen taumeln, deine krause dichtgedrängte Loken trennen,
und jedes einzelne Haar wie die Stacheln des ergrimmten Igels
emporstehen machen würde: Aber diese Scenen der Ewigkeit sind nicht
für Ohren von Fleisch und Blut--Horch, horch, o horch auf! Wenn du
jemals Liebe zu deinem Vater getragen hast--

Hamlet.
O Himmel!

Geist.
So räche seine schändliche, höchst unnatürliche Ermordung.

Hamlet.
Ermordung?

Geist.
Jeder Mord ist höchst schändlich; aber dieser ist mehr als
schändlich, unnatürlich, und unglaublich.

Hamlet.
Eile, mir den Thäter zu nennen, damit ich schneller als die Flügel
der Betrachtung oder die Gedanken der Liebe, zu meiner Rache fliege.

Geist.
So bist du, wie ich dich haben will; auch müßtest du gefühlloser
seyn, als das fette Unkraut, das seine Wurzeln ungestört an Lethe's
Werft verbreitet, wenn du nicht in diese Bewegung kämest. Nun,
Hamlet, höre. Es ist vorgegeben worden, eine Schlange habe mich
gestochen, da ich in meinem Garten geschlaffen hätte. Mit dieser
erdichteten Ursach meines Todes ist ganz Dännemark hintergangen
worden: Aber wisse, edelmüthiger Jüngling, die Schlange, die deinen
Vater zu tode stach, trägt izt seine Krone.

Hamlet.
O, meine weissagende Seele! Mein Oheim?

Geist.
Ja, dieser ehrlose blutschändrische Unmensch verführte durch die
Zauberey seines Wizes, und durch verräthrische Geschenke (o!
verflucht sey der Wiz und die Geschenke, welche die Macht haben, so
zu verführen,) das Herz meiner so tugendhaft scheinenden Königin.
O Hamlet, was für ein Abfall war das! Von mir, dessen Liebe, in
unbeflekter Würde Hand in Hand mit dem Ehe-Gelübde gieng, so ich
ihr gethan hatte--zu einem Elenden abzufallen, dessen natürliche
Gaben gegen die meinigen nicht einmal in Vergleichung kamen!
Allein, so wie die Tugend sich niemals verführen lassen wird, wenn
das Laster gleich in himmlischer Gestalt käme, sie zu versuchen; so
würde die Unzucht, und wenn sie an einen stralenden Engel
angeschlossen wäre, sich nicht enthalten können, selbst in einem
himmlischen Bette ihre heißhungrige Lust an Luder-Fleisch zu büssen.
Doch sachte! Mich däucht, ich wittre die Morgen-Luft--Ich muß
kurz seyn. Ich lag, wie es nachmittags immer meine Gewohnheit war,
unter einer Sommer-Laube in meinem Garten, und schlief unbesorgt,
als dein Oheim sich ingeheim mit einer Phiole voll Gift
herbeyschlich, welches eine so gewaltsame Wirkung thut, daß es
schnell wie Queksilber alle Adern durchdringt, und das sonst
flüssige und gesunde Blut gerinnen macht, wie Milch wenn etwas
Saures darein gegossen wird; dieses Gift schüttete er mir in die
Ohren, und es wirkte so gut, daß es mir eine plözliche
Schwindeflechte verursachte, die meinen ganzen Leib mit einem
ekelhaften Aussaz überzog, und in einem Augenblik in ein gräßliches
Scheusal verwandelte. Solchergestalt wurde ich dann schlafend,
durch die Hand eines Bruders, auf einmal des Lebens, der Krone und
meiner Königin beraubt; mitten in meinen Sünden weggerissen, ohne
Vorbereitung, ohne Sacrament, ohne Fürbitte; eh ich meine Rechnung
gemacht, mit allen meinen Vergehungen beladen, zur Rechenschaft
fortgeschikt. O, es ist entsezlich, entsezlich, höchst entsezlich!
Wenn du einen Bluts-Tropfen von mir in deinen Adern hast, so duld'
es nicht; laß das Königliche Bette von Dännemark nicht zu einem
Tummel-Plaz der Üppigkeit und blutschändrischer Unzucht gemacht
werden. Doch, so strenge du auch immer diese Greuel-That rächen
magst, so befleke deine Seele nicht mit einem blutigen Gedanken
gegen deine Mutter; überlaß sie dem Himmel und dem nagenden Wurm,
der in ihrem Busen wühlet. Lebe wohl! Der Feuer-Wurm kündigt den
herannahenden Morgen an, und beginnt sein unwesentliches Feuer
auszustralen. Adieu, adieu, adieu--Gedenke meiner, Sohn!

(Er verschwindet.)

Hamlet.
O du ganzes Heer des Himmels! O Erde! Und was noch mehr?--Soll
ich auch noch die Hölle aufruffen?--O Fy, halte dich, mein Herz!
Und ihr, meine Nerven, werdet nicht plözlich alt, sondern traget
mich aufrecht--Deiner gedenken? Ja, du armer unglüklicher Geist,
so lange das Gedächtniß in diesem betäubten Rund

(er schlägt an seinen Kopf)

seinen Siz behalten wird!--Deiner gedenken? Ja, ja, ich will sie
alle von der Tafel meines Gedächtnisses wegwischen, alle diese
alltägliche läppische Erinnerungen, alles was ich in Büchern
gelesen habe, alle andern Ideen und Eindrüke, welche Jugend und
Beobachtung darinn eingezeichnet haben; ich will sie auslöschen,
und dein Befehl allein, unvermischt mit geringerer Materie, soll
den ganzen Raum meines Gehirns ausfüllen. Ja, beym Himmel!--O!
abscheuliches Weib! O Bösewicht, Bösewicht, lächelnder verdammter
Bösewicht!--Meine Schreib-Tafel--ich will es niederschreiben--daß
einer lächeln und immer lächeln, und doch ein Bösewicht seyn kan--
wenigstens weiß ich nun, daß es in Dännemark so seyn kan--

(Er schreibt.)

So, Oheim, da steht ihr; izt zu meinem Wortzeichen; es ist: Adieu,
adieu, gedenke meiner: Ich hab' es beschworen--





Neunte Scene.
(Horatio und Marcellus treten auf.)


Horatio.
Gnädiger Herr, Gnädiger Herr--

Marcellus.
Prinz Hamlet--

Horatio.
Der Himmel schüze ihn!

Marcellus.
Amen!

Horatio.
Holla, ho! ho! Gnädiger Herr--

Hamlet.
Hillo, ho, ho; Junge; komm, Vogel, komm--


Marcellus. Horatio.
Wie geht es, Gnädiger Herr? Was habt ihr Neues gehört?

Hamlet.
O, Wunderdinge!

Horatio.
Entdekt sie uns, Gnädiger Herr.

Hamlet.
Nein, ihr würdet es ausbringen.

Horatio.
Ich nicht, Gnädiger Herr, beym Himmel!

Marcellus.
Ich auch nicht, Gnädiger Herr.

Hamlet.
Nun, sagt mir denn einmal, könnte sich ein Mensch zu Sinne kommen
lassen--Aber wollt ihr schweigen?

Beyde.
Ja, beym Himmel, Gnädiger Herr.

Hamlet.
Es wohnt nirgends im ganzen Dännemark kein Bösewicht, der nicht ein
ausgemachter Schurke ist.

Horatio.
Es braucht keinen Geist, Gnädiger Herr, der aus seinem Grabe
aufstehe, uns das zu sagen.

Hamlet.
Richtig, so ist's; ihr habt recht; und also ohne weitere Umstände,
hielt ich für rathsam, daß wir einander die Hände geben und
scheiden; ihr, wohin euch eure Geschäfte und Absichten weisen,
(denn jedermann hat seine Geschäfte und Absichten, wie es geht) und
was mich selbst betrift, ich will beten gehen.

Horatio.
Gnädiger Herr, das sind nichts als wunderliche und schnurrende
Reden.

Hamlet.
Es ist mir leid, daß sie euch beleidigen, herzlich leid; in der
That, herzlich.

Horatio.
Die Rede ist von keiner Beleidigung, Gnädiger Herr.

Hamlet.
Ja, bey Sanct Patriz! Die Rede ist hier von einer Beleidigung,
Gnädiger Herr, und von einer schweren, das glaubt mir. Was diese
Erscheinung hier betrift--Es ist ein ehrlicher Geist, das kan ich
euch sagen: Aber euer Verlangen zu wissen was zwischen uns
vorgegangen ist, das übermeistert so gut ihr könnet. Und nun,
meine guten Freunde, wenn wir Freunde, Schul- und Spieß-Gesellen
sind, so gewährt mir eine einzige arme Bitte.

Horatio.
Was ist es, Gnädiger Herr?

Hamlet.
Saget niemanden nichts von dem, was ihr heute Nacht gesehen habt.

Beyde.
Wir versprechen es Euer Gnaden.

Hamlet.
Das ist nicht genug, ihr müßt mir's zuschwören.

Horatio.
Auf meine Treu, Gnädiger Herr, ich will nichts sagen.

Marcellus.
Ich auch nicht, Gnädiger Herr, bey meiner Treue.

Hamlet.
Schwört auf mein Schwerdt.

Marcellus.
Wir haben ja schon geschworen, Gnädiger Herr.

Hamlet.
Auf mein Schwerdt sollt ihr schwören, in der That.

Der Geist (ruft hinter der Bühne:)
Schwört.

Hamlet.
Ha, ha, Junge, sagst du das? Bist du noch da?--Kommt, kommt, ihr
hört ja was der Bursche dahinten sagt--Schwört!

Horatio.
Was sollen wir dann beschwören, Gnädiger Herr?

Hamlet.
Daß ihr niemals von dem was ihr gesehen habet, reden wollt.
Schwört bey meinem Schwerdt.*

{ed.-* Eine Anspielung auf die Gewohnheit der alten Dähnen, auf ihr
Schwerdt zu schwören, wenn sie den feyrlichsten Eid thun wollten.
Sehet den Bartholinus, (de Causis contemp. mort. apud Dan.)
Warburton.}

Geist
Schwört!

Hamlet.
Hier und überall? So wollen wir uns einen andern Plaz suchen.
Kommt hieher, ihr Herren, leget eure Hände nochmals auf mein
Schwerdt, und schwört, daß ihr gegen niemand sagen wollt, was ihr
gehört habt. Schwört bey meinem Schwerdt.

Geist.
Schwört bey seinem Schwerdt.

Hamlet.
Wolgesprochen, alter Maulwurf, kanst du so schnell in den Boden
arbeiten? Das heiß' ich einen geschikten Schanz-Gräber!--Noch ein
wenig weiter weg, gute Freunde.

Horatio.
O Tag und Nacht, aber das ist ausserordentlich seltsam.

Hamlet.
Eben darum, weil es euch so fremd vorkommt, so heißt es als einen
Fremdling willkommen. Mein guter Horatio, es giebt Sachen im
Himmel und auf Erden, wovon sich unsre Philosophie nichts träumen
läßt. Aber kommt; schwört mir, wie zuvor, daß ihr niemals (so wahr
euch Gott gnädig sey!) So seltsam und widersinnisch ich mich auch
immer anstellen und betragen mag (wie ich, vielleicht, künftig vor
gut befinden könnte, zu thun) daß ihr, wenn ihr mich alsdann sehen
werdet, niemals durch eine solche Stellung der Arme, oder ein
solches Kopfschütteln, oder durch irgend eine geheimnisvolle
abgebrochne Redensart, als gut--wir wissen was wir wissen--oder,
wir könnten, wenn wir wollten--oder, wenn wir reden möchten--oder,
es könnte wol vielleicht--oder andere solche zweideutige
Andeutungen zu erkennen geben wollet, daß ihr mehr von mir wisset
als andre; das schwört mir, als euch der Himmel in eurer höchsten
Noth helfen wolle! Schwört!

Geist.
Schwört!

(Sie schwören.)

Hamlet.
Gieb dich zur Ruh, gieb dich zur Ruh, unglüklicher Geist. So, ihr
Herren; ich empfehle und überlasse mich euch wie ein Freund seinen
Freunden, und was ein so armer Mann als Hamlet ist, thun kan, euch
seine Liebe und Freundschaft auszudrüken, das soll, ob Gott will,
nicht fehlen. Wir wollen gehen, aber immer eure Finger auf dem
Mund, ich bitte euch: Die Zeit ist aus ihren Fugen gekommen; o!
unseliger Zufall! daß ich gebohren werden mußte, sie wieder
zurecht zu sezen! Nun, kommt, wir wollen mit einander gehen.

(Sie gehen ab.)

übersetzt von Christoph Martin Wieland, Zürich 1766

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5 von 8    Zur Liste

»Leih jedem dein Ohr, aber nur wenigen deine Stimme.«
Aktion:

»Der Große stürzt: seht seinen Günstling fliehn!
Der Arme steigt, und Feinde lieben ihn.«
3. Aufzug, 2. Szene
Aktion:

»Auch ohne Feind hat Jugend innern Streit.«
Stichworte: Jugend
Aktion:

»Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage.«
(Hamlet) / Dritter Aufzug - Erste Szene
Stichworte: Schein und Sein
Aktion:

»Etwas ist faul im Staate Dänemarks.«
(Something is rotten in the state of Denmark.)
(Marcellus) / 1. Akt, 4. Szene
Aktion:



Verfilmungen


Hamlet
Hamlet
(Laurence Olivier)


Hamlet
Hamlet
(Franco Zeffirelli)


Hamlet
Hamlet
(Kenneth Branagh)


Hamlet
Hamlet
(Sven Gade, Heinz Schall)


Hamlet
Hamlet
(Grigori Kosinzew)


Hamlet
Hamlet
(Michael Almereyda)




Vertonungen


Hamlet
Hamlet
(Ulrich Lauterbach)




Übersetzung


Christoph Martin Wieland (1766)
Franz Heufeld (1772)
August Wilhelm Schlegel, Karel Hruska (1798)
Theodor Fontane (1842)
Ludwig Seeger (1865)
Gerhart Hauptmann, Erhard Dietl (1927)
Erich Fried (1968)
Holger Michael Klein (1993)
Frank Günther (1995)
Norbert Greiner (2006)


Weiteres


Entstehungszeit: etwa 1600
Erstveröffentlichung: 1603 erste Quart-Ausgabe; 1604 zweite Quart-Ausgabe; 1611 dirtte Quart-Ausgabe; 1623 in der ersten Folio-Ausgabe
Erstaufführungen: 1602 in London; 1603 in Cambridge und Oxford

Ausgaben (Auswahl)


lieferbare Ausgaben
Hamlet
Hamlet
(William Shakespeare)
Hamburger Lesehefte Verlag, 2020, 135 S., 9783872911308
3,10 €

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Hamlet
Hamlet
(William Shakespeare)
Insel Verlag, 1980, 269 S., 9783458320647
16,00 €

Bestellen
Hamlet
Hamlet
(William Shakespeare)
Hamburger Lesehefte Verlag, 2016, 144 S., 9783872918024
4,10 €

Bestellen
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Romeo und Julia / Hamlet / Othello
Diogenes Verlag, 2002, 334 S., 9783257206319
12,00 €

Hamlet
Hamlet
(William Shakespeare)
Manesse Verlag, 2005, 160 S., 9783717540441
12,90 €




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