Buch
England und das Reich der Ottonen im 10. Jahrhundert
-Beziehung und Wahrnehmung von Angelsachsen und Sachsen zwischen Eigenständigkeit und Zusammengehörigkeit-Ulrike Matzke
Übersicht
Verlag | : | Verlag für Regionalgeschichte |
Buchreihe | : | Göttinger Forschungen zur Landesgeschichte (Bd. 16) |
Sprache | : | Englisch, Deutsch |
Erschienen | : | 17. 08. 2009 |
Seiten | : | 184 |
Einband | : | Kartoniert |
Höhe | : | 210 mm |
Breite | : | 150 mm |
Gewicht | : | 270 g |
ISBN | : | 9783895347566 |
Sprache | : | Englisch |
Produktinformation
Der Beginn der liudolfingischen Königsherrschaft im Jahr 919 bedeutete für das Reich der Ottonen eine engere politische und dynastische Bindung zum Haus Wessex. Das dafür zentrale Ereignis war die Heirat Ottos I. mit der angelsächsischen Prinzessin Edgith.
Infolge eines gemeinsamen sächsischen Ursprungs im Frühmittelalter sei diese Beziehung „ethnisch“ bedingt, und noch im 10. Jahrhundert existiere ein lebendiges Verwandtschaftsbewusstsein zwischen Angelsachsen und kontinentalen Sachsen – so die bisherige Forschung.
In der vorliegenden Arbeit wird diese These anhand schriftlicher Quellen des 6. bis 10. Jahrhunderts überprüft: Gab es im angelsächsischen Britannien und im Ostfrankenreich tatsächlich ein derartiges Zusammengehörigkeitsgefühl? Wurde es in der Darstellung der eigenen sowie der gegenseitigen Identität und Herkunft reflektiert? Oder scheint es vielmehr zu einem bestimmten Zweck konstruiert?
Inhaltsverzeichnis
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Pressestimmen
Der Autorin der hier zu besprechenden, von Hedwig Röckelein betreuten, an der Universität Göttingen entstandenen Magisterarbeit, ist eine gehörige Portion Mut und Selbstbewusstsein nicht abzusprechen. Immerhin stellt sich die Autorin in ihrem wissenschaftlichen Erstlingswerk recht selbstbewusst in die Tradition der thematisch ähnlich gelagerten, aus dem Jahr 1946 stammenden Arbeit Wilhelm Levisons über die Beziehungen zwischen England und dem Kontinent im 8. Jahrhundert (›England and the Continent in the 8th century‹) und nimmt dabei nicht zuletzt auch die durch zwei Weltkriege belastete gegenseitige Wahrnehmung von Engländern und Deutschen im 20. Jahrhundert, bzw. die diesbezüglichen Bewertungen der englischen und deutschen Historiographie, gleich mit ins Visier. In kritischer Auseinandersetzung mit der früheren Nationalgeschichtsschreibung beider Länder, den internationalen Forschungen zur Ethnogenese sowie dem jüngst noch von Borgolte vertretenen Konzept einer recht einheitlichen europäischen Geschichte sucht die Autorin nach einem eigenen methodischen Zugriff auf ihr Thema. Sie entwickelt ihr methodisches Konzept, indem sie die Frage formuliert, ob 'auf einer geschichtswissenschaftlichen Dekonstruktion und Interpretation eines schriftlichen Quellenmaterials möglicherweise Ergebnisse erzielt werden, die in Kongruenz aber auch in deutlichem Kontrast zu den gültigen Erkenntnissen und Befunden anderer Fächer stehen können, die im Rahmen dieser Arbeit keineswegs grundsätzlich in Frage gestellt werden sollen'. Wenngleich die Autorin also generös darauf verzichtet, gleich die gesamte ältere und jüngere Forschung grundsätzlich in Frage zu stellen, so wird der selbstgestellte hohe methodische Anspruch doch sehr deutlich. Die Autorin ist aber, um dies gleich vorweg zu nehmen, den von ihr selbst gestellten hohen methodischen Ansprüchen nach Ansicht des Rez. vollauf gerecht geworden.
Es galt der in der Forschung bisher als communis opinio, dass die Sachsen auf dem Kontinent und die Angelsachsen in England sich ihrer gemeinsamen Herkunft bis ins hohe Mittelalter hinein in hohem Maße bewusst blieben. Von der mediävistischen Forschung des frühen 19. Jahrhunderts bis hin zu den Arbeiten Karl Leysers in den 1980er Jahren wurde stets vorausgesetzt, daß es zwischen Sachsen und Angelsachsen dieses Grundgefühl der ethnischen Verbundenheit aufgrund einer gemeinsamen Geschichte gegeben habe. Die zahlreichen und intensiven diplomatischen Kontakte, die es insbesondere während der Ottonenzeit zwischen dem ottonischen Herrscherhaus und den angelsächsischen Königen in England gab, wurden nicht zuletzt mit diesem Bewusstsein einer gemeinsamen Herkunft erklärt.
Ulrike Matzke hat nun in ihrer Arbeit die jeweiligen Herkunftsmythen der Sachsen und der Angelsachsen in der Zeit seit dem 6. Jahrhundert n. Chr. intensiv untersucht. Die thematische Spannbreite der Arbeit reicht also sehr weit über die im Titel genannte Ottonenzeit hinaus. Durch ihren methodischen Zugriff gelangt sie zu Ergebnissen, die angesichts des bisherigen Forschungsstandes durchaus unerwartet, ja stellenweise fest spektakulär zu nennen sind: Sie kann zum einen sicher nachweisen, daß die jeweiligen Herkunftsmythen starken Wandlungen unterworfen waren. Eines aber war, wie Matzke eindeutig nachweisen kann, diesen Mythen gemeinsam: Sie sind durchweg nicht von einem starken Bewusstsein einer gemeinsamen Herkunft von Sachsen und Angelsachsen geprägt. Auch die Quellen nach der Mitte des 10. Jahrhunderts erwähnen eine solche Gemeinsamkeit zwischen Sachsen und Angelsachsen eher selten. Mit diesem gut belegten Befund aber ist dem gängigen Deutungsmuster der engen Beziehungen zwischen England und dem ottonischen Reich in hohem Maße der Boden entzogen. Diese Beziehungen müssen jetzt in anderer Weise erklärt werden. Matzke hat in ihrer bemerkenswerten Magisterarbeit also nicht nur ein gängiges mediävistisches Erklärungsmodell zum Einsturz gebracht. Sie hat zugleich der künftigen mediävistischen Forschung die Aufgabe gestellt, nach neuen schlüssigen Erklärungen für die engen Beziehungen zwischen England und dem Ottonenreich zu suchen.
Arend Mindermann, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 83, 2011