Literarisches Werk




Übersicht


Originalsprache : Deutsch
Genre : Schauerroman, Tragödie

Kurzbeschreibung


»Wendernoacht« ist ein Theaterstück von Olaf von der Heydt. 2008 wurde das literarische Werk zuerst veröffentlicht.

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Winternacht
Der Ausdruck "Wendernoacht" stammt aus der Mundart des Taunus und bedeutet auf hochdeutsch "Winternacht", es handelt sich um ein germanisches Fest, das entfernt an den keltischen Halloween erinnert. In diesem subtil angelegten Script lernen wir Arved Richter kennen, der sich in das verschlafene Dorf Maldenrath zurückzieht. Das überraschend preiswerte Haus, das ihm Bürgermeister Scholtes angeboten hat, erleichtert seine Entscheidung. »Wendernoacht« ist ein spannender Mystery–Streifen der behäbig im idyllischen Gewand daherkommt, eine Art "Mord im tiefsten Wald"–Spiel, bei der es nicht lospoltert, sondern die unbehagliche Atmosphäre der Schockeffekt ist, die einen wohligen Schauer und Gänsehaut hervorruft. Olaf von der Heydt bezieht sich mit seiner Gruselgeschichte auf das Genre der Gothic Novel. Hier sei an Richard Hurd erinnert, der in der "Gothic Romance" etwas fand, das "peculiarly suited to the views of a genius, and to the ends of poetry" sei. Er untermauerte sein Lob mit einem Beispiel aus der Architektur: "When an architect examines a Gothic structure by Grecian rules, he finds nothing but deformity. But the Gothic architecture has its own rules, by which, when it comes to be examined, it is seen to have its merit, as well as the Grecian".

Etwas fehlt fast immer auf der Landkarte des Lebens: ein Ort wie Maldenrath, aber auch Raum und Zeit für Visionen. Wer nach einer Nacht voll unruhiger Träume schon einmal versucht hat, diese am nächsten Morgen auf Papier zu bannen, wird die Frustration kennen: Was übrig bleibt vom unbewussten Bilderrausch, sind meist rasch verblassende Details und intensive Gefühlsschemen, die sich in keinen Plot mehr fassen lassen. »Wendernoacht« führt in die innerste Provinz, wo bei aller Wohlhabenheit der Frost und die Verstörung hausen. Olaf von der Heydt kartographiert Seelen und führt in seinem ersten großen Hörspiel durch ein beeindruckend schauriges Panorama aus der globalisierten Provinz. Schon auf den ersten Seiten des Scripts ist das Grauen in der Idylle perfekt. Irgendetwas stimmt nicht mit den Dorfbewohnern, schnell sieht sich Arved Richter ihren Anfeindungen ausgesetzt und entdeckt einen Tagebuch des Haus–Vorbesitzers, das ihn mißtrauisch werden läßt. Endlose Müdigkeit sickert in die verwunschene Provinz, die Zeit zerbricht mit dem Herunterfallen einer Uhr. In den seltensten Fällen reden diese Provinzler so, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Sie haben vielmehr einige Virtuosität dabei entwickelt, die entscheidenden Dinge nicht zu sagen: Tod, Liebe, Angst werden verbal sorgfältig umschifft. Dabei entsteht eine Form der Ungerührtheit, die leicht zu Boshaftigkeit werden kann. Die einen quatschen daher wie immer, während die anderen emotional verhungern an den nicht gesprochenen Worten. Aus Unbeschwertheit wird Vernichtung. Als sich Arved Richter auf die Spurensuche nach weiteren Hinweisen begibt, gerät er in höchste Gefahr, denn die Hinterweltler verbergen ein schauerliches Geheimnis. Es geht bei »Wendernoacht« nicht um platten Horror, es geht ihm vielmehr um eine scharfe Gesellschaftsstudie aus den trostlos opulenten Zeiten heute, hier im tiefsten Deutschland und überall, wo Wohlstand und Verwahrlosung sich dicht verflechten – und dieses Bild einer kalten Vorhölle gelingt ihm bestens. Aus der Kluft zwischen Ungesagtem und Dahergequatschtem empfängt von der Heydt seine Kraft. Hier macht sich das dramatische Sprechen fest, insbesondere wenn es darum geht, der verstummten Unterschicht eine Sprache zu geben, den ausgezehrten Seelen eine Stimme zu leihen. In diesem Hörspiel zeichnet von der Heydt ein fein verästeltes Winterbild der Gegend und des psychischen Zustands der Menschen. Die liebliche Landschaft des Taunus und das gruselige Psychogramm von verkommenen und zugleich vernachlässigten Provinzlern, das sind die zwei realen Seiten dieser Welt. Hier offenbaren sich schiefgelaufene Existenzen, die auch der Wohlfahrtsstaat nicht immer geradebiegen kann, schließlich sind es die Narben der Vergangenheit, die am meisten brennen. Opfer müssen bis ans Ende ihres Lebens mit Privat– Gespenstern auskommen; die ihnen irgendwann zugefügten Qualen würden sie gar weitergeben wie ein Erbleiden. Und so, kein Wunder, sind von der Heydt Figuren einsame Helden – Einzelgänger, ewig fremd in der Fremde, voller Furcht und voller Sehnsucht, mit unscharfem Selbstbild. Das Herz der Finsternis schlägt auch im Taunus, die Handlung kippt unweigerlich ins Grand–Guignol, das Hörspiel macht den existenziellen Horror sichtbar. Der Schlaf der Vernunft, so zeigt von der Heydt in albtraumhaften Szenen, gebiert Ungeheuer, wie der Titel einer der bekanntesten Radierungen Goyas diese künstlerische Mission zusammenfaßt. Die Geister, die Ungeheuer, Kobolde, Teufel und Hexen des Glaubens, sind die religiös–politischen Geister des Totalitarismus, Fundamentalismus, Antisemitismus, Hexenglauben, Frauenunterdrückung, Folter. Am Ende dieser Geschichte und, rund 200 Jahre später, am „Ende der Geschichte“, wissen wir, daß sich diese Gespenster jederzeit wieder erwecken lassen.

Soweit der Eindruck, den das Skript gemacht hat. Nach einer langen Vorgeschichte und dem Wechsel des produzierenden Labels hat es mit der Produktion von »Wendernoacht« in 2008 endlich mit der Veröffentlichung des Hörspiels bei der Hörfabrik geklappt. Bereits der Beginn dieser Inszenierung zeigt allerdings auf, welche Welten die kommerziellen Anbieter von den Anstalten des öffentlichen Rechts trennen. Kaum hat man einen etwas lustlosen Beginn hinter sich gelassen, klingelt das Telephon. Dort meldet sich ein Sprecher, der im Ruhrgebietsdeutsch (das Stück spielt im Taunus) von eine Bauern-„Kate“ zur „Karte“ verschwurbelt. In der Sprecherliste finden sich ein paar bekannte Namen der Szene wieder, ob man den Großteil aber tatsächlich als Profis bezeichnen kann, erscheint eher fraglich. Die musikalischen Zwischeneinspielungen erinnern eher an die Les Humphries-Singers und auch die Regie vermag keine Akzente zu setzen, brav und bieder wird hier vom Blatt inszeniert, zuweilen meint man raschelndes Papier im Mund der Sprecher zu hören. Dazu der Autor von der Heydt auf Nachfrage:

„Die Arbeit an dem Skript zu "Wendernoacht" unterschied sich ja deutlich zu meinen bisherigen Arbeiten. Bislang mußte ich dem Leser ja alles an Story mitgeben. Beim Hörspielskript beschränke ich mich stark auf die Dialoge und lasse damit zunächst dem Regisseur viele Freiräume die Geschichte auszumalen. Natürlich hatte ich am Anfang einige formale Probleme und auch der Wechsel vom Ausführlichen zum Kargen fiel mir nicht leicht. Nach ein paar verworfenen Anläufen hatte ich dann aber doch recht schnell einen für mich vertretbaren Stil gefunden. Es half hier, daß für mich "Ausführlichkeit" insofern ein Fremdwort ist, daß mir jeder Satz, der für die Geschichte - oder zumindest zur Bildung einer Pointe - nicht in irgendeiner Form wichtig ist, als überflüssiger Luxus vorkommt. Will sagen, wenn es für die Geschichte egal ist, wie das Wetter ist, dann schreibe ich im Regelfall auch nicht, ob die Sonne scheint.“

? Der wichtigste Anspruch für einen Autor diese Genres lautet: Er soll unterhalten und nicht langweilen.

! „Bei Wendernoacht habe ich versucht, mit den Dialogen und Erzählparts allein, die Geschichte dahin zu lenken, wo ich sie hinhaben wollte. Ich habe die Szenen zwar plastisch vor meinem geistigen Auge, will sie aber nicht detailliert beschreiben - denn hier soll Raum für Fantasie bleiben; zum einen die des Regisseurs, der die Szenen vielleicht ganz anders sieht, vor allem aber die des Hörers.“

? Daß »Wendernoacht« in einem Dorf im Taunus spielt, ist, wie oben erwähnt, kein Zufall.

! „Die dörflichen Strukturen bieten ein unglaubliches Potential für Geschichten aller Art. Das Beste: Man braucht den Wahnsinn nicht erfinden, er existiert! Das Netzwerk in einer solch kleinen Gemeinschaft ist unvorstellbar komplex. Das Problem dabei, von innen erkennt man es kaum, von außen durchschaut man es kaum. Ich habe viele Jahre selbst in diesen Strukturen gesessen, bin quasi damit auf- und in sie hineingewachsen. Oft, zu oft, habe ich mich auch durch sie instrumentalisieren lassen, weil ich vielleicht zu jung war, um es zu hinterfragen. Irgendwann gab es aber einen erlösenden Knall, und seither sehe ich auch diesbezüglich deutlich klarer. Der Vorteil ist, daß ich die Strukturen von außen sehen kann und sie aber auch verstehe, weil ich sie von innen kenne. Die Größe des Ortes hat den entscheidenden Vorteil, daß bei aller Komplexität der gruppendynamischen Vorgänge, diese in einem überschaubaren Rahmen stattfinden. Trotzdem ist es immer noch groß genug, daß man eine Vielzahl von Charakteren vorfindet, die als literarische Vorlagen, kaum Wünsche offen lassen. Auch verliert man durch die objektivere Sicht auch einiges an Scheu, und man traut sich doch schon an eine etwas schonungslosere Darstellung der Dinge heran.“

Schade, daß sich von dem Wahnsinn, der in der Provinz nistet, in dieser Hörspielinszenierung kaum etwas transportiert.

Matthias Hagedorn

»Wendernoacht« 2008, erhältlich über die Hörfabrik



Kurzkritiken


     
trivial, unterhaltend



Linktipp: »Deutsch« als Originalsprache haben auch