Übersicht


Originalsprache : Deutsch
Reihe : Anselm Krielstein Trilogie (Reihe) (Bd. 3)
Vorgänger : Das Einhorn
Umfang : ca. 361 Seiten
Thema : Odyssee, Kündigung
Verlag : Suhrkamp Verlag
Buchreihe : suhrkamp taschenbuch

Kurzbeschreibung


»Der Sturz« ist ein Roman von Martin Walser. 1973 wurde das literarische Werk zuerst veröffentlicht.

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Charakteristik / 1 Einschätzung


Anspruch
Wissen
  8
4
    Liebe
Humor
  8
8
    Erotik
Spannung
  8
1
    Unterhaltung
Transzendenz
  10
8
   



Nachdem Anselm Kristlein nacheinander Vertreter (Halbzeit) und Romancier (Das Einhorn) war, versucht er es in diesem letzten Teil der nach ihm benannten Trilogie als Angestellter eines Erholungsheims für Angestellte am Bodensee. Gemeinsam mit seiner Frau Alissa hat er die Hausordnung des Ingenieurs und Unternehmers Blomich durchzusetzen, was er mit durchdachter Halbambition auch tut, denn er versucht, so unauffällig wie möglich zu sein. Der Roman gliedert sich dabei in drei Großabschnitte, welche alle mit „Geldverdienen“ überschrieben sind.
Im ersten Teil (Vergangenheitsform) befindet sich Anselm in München, um – Überraschung – Geld zu verdienen. Aus irgendeinem Grund beschließt er, zu Fuß nach Hause zu gehen (das sind bei Weitem über 100 km). Auf dieser Reise begegnen ihm albtraumhafte Zerrgesichter, die ihn permanent belästigen. Ruhe findet er nur zwischenzeitlich im Rahmen kleiner (Fantasie-)Abenteuer, die eher in romantischen Märchenwäldern als im Allgäu situiert zu sein scheinen (er klettert halbnackt auf Felsformationen herum, bewohnt ein „Holzhaushäuschen“ zusammen mit einer nymphomanen Diana-Gestalt, kifft in Kommunen und zecht was das Zeug hält). Zum Schluss wird er zusammengeschlagen und erreicht ohnmächtig den Bodensee. Im zweiten Teil (Gegenwartsform) versucht Anselm so gut das eben geht, Arbeit zu simulieren (er gräbt einen Schacht, zieht den Staubsauger unnötig lange durch die Flure des Hotels oder er lässt ein Band mit Schreibmaschinengeräuschen laufen). Das Gefühl allgemeiner Resignation ergreift auch die anderen Figuren – eine Selbstmordserie setzt ein. Schließlich verkauft Blomich seinen Konzern an die Amerikaner, das Heim wird geschlossen, den Kristleins gekündigt. Teil III (Zukunftsform): Kristlein entwirft kraftlos eine Lösung für sich und Alissa; die Kinder plant er bei Verwandten auszusetzen. Die beiden fahren zu einer späten Jahreszeit mit Auto und Trailer in Richtung Italien über den völlig verschneiten Splügenpass. Das Auto zieht beiseite und stürzt besagten Pass hinunter.




Obwohl die Schreibsituation Anselms im zweiten Teil situiert ist, sind die Umstände der Ausgangslage im ersten Teil (ohnmächtig und wegen Suizidverdachtes festgebunden) für den ganzen Roman relevant, denn sie „legitimieren“ die grotesk-absurden Einbrüche in die (an und für sich) realistisch erzählte Welt. Die Handlung kann vor diesem Hintergrund als Versuch des Ausbruchs aus dem (klein-)bürgerlichen Milieu gelesen werden, denn die Flucht aus München wird durch Prügel bestraft und die Begründung der Schläger lautet, sie müssten „Aufwuchfe beschneiden“. Faktisch ist diese „Desertion“ nicht Grund für die Kündigung, aber sie schwebt dann doch als Fatum über allen Ereignissen. Stilistisch hebt sich der „Sturz“ von seinen Vorgängern in markanter Weise ab, denn der klassische Walser-Erählstrom wird um ein Figurenpersonal ergänzt, das an die Romane Becketts denken lässt. Außerdem stehen die „Feld-, Wald- und Wiesen“-Elemente in krassem Gegensatz zur modellhaften Gesellschaftsanalyse, wie sie noch in den „Ehen“ zu finden ist. Dieser kunstvolle Kosmos, der somit streng genommen nur aus Assoziationsmotiven besteht und keine klassische Story zulässt, ist – um es einmal auf den Punkt zu bringen – ziemlich strange: „Wir werden […] abfahren, solange noch der Bodennebel liegt. Der wird dem Auto bis fast zu den Scheiben reichen. Du wirst das Gefühl haben, wir schweben“. Es bleibt dann schon die Frage, was das alles soll. Und wenn man eine Gesetzmäßigkeit mit Sicherheit feststellen kann, die sich an jeder Stelle und ohne Pause durch den Roman zieht, dann ist es die Dialektik von Hoffnung und Zweifel, denn alles Positive erscheint irgendwie albtraumhaft, gebrochen oder zum Scheitern verurteilt und alles Negative wird im Gegensatz dazu überstilisiert und damit ästhetisch „abgefedert“ – ein psychologischer Mechanismus also. Hierin liegt für mich die Qualität des letzten Kristlein-Romans, der die Trilogie nach 13 Jahren beendet und damit auch eine ausgefeiltere Poetologie präsentiert, welche kritisch und tautologisch gleichermaßen gelesen werden kann. Deshalb aber gleich dem „Böll jede Nacht Scheiße vorʼs Haus [zu] karren, bis er aufhört, seine öffentliche Güte zu produzieren“, ist sicherlich eine ziemlich hitzköpfige Idee.



Kurzkritiken


     
anspruchsvoll, nachhaltig, unterhaltend, melancholisch, fesselnd


Ausgaben


lieferbare Ausgaben
Der Sturz
Der Sturz
(Martin Walser)
Suhrkamp Verlag, 1976, 360 S., 9783518368220
9,50 €

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Linktipp: »Roman« als Literaturgattung haben auch




Anselm Krielstein Trilogie (Reihe)