Literarisches Werk




Übersicht


Originalsprache : Deutsch
Genre : Wildwestroman
Umfang : ca. 540 Seiten
Thema : Winnetou, Old Shatterhand, Betrüger
Figur : Indianer
Verlag : Karl-May-Verlag

Kurzbeschreibung


»Der Ölprinz« ist ein Roman von Karl May.

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Kurzkritiken


     
trivial, unterhaltend



Wer auf dem gewöhnlichen Wege von El Paso del Norte über den Rio Colorado nach Kalifornien hinüber wollte, der kam, bevor er Tucson, die Hauptstadt von Arizona erreichte, vorher nach der alten Mission San Xavier del Bac, welche ungefähr neun Meilen von Tucson entfernt liegt. Diese Mission wurde im Jahre 1668 gegründet und ist ein so prächtiges Bauwerk, daß es den Wanderer mit Staunen erfüllt, ein so glänzendes Monument der Zivilisation mitten in den Wildnissen von Arizonaanzutreffen.
An jeder Ecke des Gebäudes erhebt sich ein hoher Glockenturm; die Front ist mit phantastischen Ornamenten reich verziert; die Hauptkapelle trägt eine große Kuppel und über den Mauern sind massive Simskränze und geschmackvolle Verzierungen angebracht. Dieses Bauwerk würde jeder großen Stadt, jeder Residenz zur Zierde gereichen.
Diese Mission ist zum Teil von einem Dorfe umgeben, in dem zur Zeit, in welcher unsre Erzählung spielt, Papago-Indianer in der Stärke von vielleicht dreihundert Seelen wohnten. Diese Papagos waren und sind noch heute ein friedfertiger, arbeitsamer und den Weißen wohlgesinnter Stamm, dessen Angehörige ihr Gebiet durch ein künstliches Bewässerungssystem wunderbar ergiebig gemacht haben und mit Weizen, Korn, Granaten, Kürbissen und andern Früchten und Lebensmitteln fleißig bebauen.
Leider hatten diese braven, arbeitsamen Menschen sehr viel von und unter dem weißen Gesindel zu leiden, welches sich Arizona zum Tummelplatze auserkoren hatte. Dieses ringsum von Gebirgen und Wüsten eingeschlossene Territorium besaß so gut wie gar keine Verwaltung; der Arm der Gerechtigkeit konnte nur schwer oder gar nicht über die Grenzen hereinreichen, und so zogen sich Hunderte und aber Hunderte, welche mit dem Gesetze zerfallen waren, aus Mexiko und den Staaten herein, um ein Leben zu führen, dessen Grundlage in der rohesten Gewaltthätigkeit bestand.
Zwar lag in der Hauptstadt Militär, welches die Aufgabe hatte, für die öffentliche Sicherheit zu sorgen; aber es waren nur zwei Kompagnien, also viel zu wenig für einen so weiten Bereich von gegen 300000 Quadratkilometer, und dazu standen die Verhältnisse so, daß diese Helden froh waren, wenn sie selbst von dem Gesindel in Ruhe gelassen wurden. Hilfe konnte von ihnen wohl kaum erwartet werden. Das wußten die außerhalb des Gesetzes Stehenden nur zu wohl und zeigten darum eine Frechheit, welche geradezu ihresgleichen suchte. Sie wagten sich, in Banden versammelt, bis in die unmittelbare Nähe von Tucson heran, und niemand getraute sich nur eine Viertelstunde weit zu entfernen, ohne ein Arsenal von Waffen mit sich zu führen. Ein amerikanischer Reisender schildert die damaligen Zustände in folgender Weise: »Die verzweifeltsten Schurken von Mexiko, Texas, Kalifornien und den andern Staaten fanden in Arizona sichere Zuflucht vor dem Strafrichter. Mörder und Diebe, Gurgelabschneider und Spieler bildeten die Masse der Bevölkerung. Alle Welt mußte bewaffnet sein, und blutige Scenen bildeten das tägliche Vorkommnis. Von einer Regierung war nicht die Rede, noch weniger von Gesetzes- oder Militärschutz. Die Beschäftigung der Besatzung von Tucson bestand darin, daß sie sich betrank und alles gewähren ließ. So war Arizona vielleicht der einzige unter der schützenden Aegide einer zivilisierten Regierung stehende Punkt des Landes, wo jedermann die Justiz in seinem Interesse handhabte.«
Da traten drüben in San Franzisko rechtlich denkende, mutige Männer zusammen, um einen »Sicherheitsausschuß« zu bilden, welcher zwar zunächst seine Thätigkeit über Kalifornien erstrecken sollte, bald aber sein kräftiges Walten auch im benachbarten Arizona bemerken ließ. Kühne Gestalten tauchten bald hier und bald dort, bald einzeln und bald zu Trupps vereinigt, im Lande auf, um dasselbe von den Verbrechern zu säubern, und nie verschwanden sie wieder, ohne die deutlichsten Spuren davon zurückzulassen, daß sie Gericht gehalten hatten.
Bei den Papagos von San Xavier del Bac hatte sich ein Irländer niedergelassen, welcher wohl auch aus keinem ehrbaren Grunde nach Arizona gekommen war. Er hatte da einen Laden eröffnet und behauptete, alle möglichen Gegenstände zu verkaufen; in Wirklichkeit aber konnte man bei ihm fast weiter nichts bekommen als einen Schnaps, für dessen Selbstfabrikation und Verkauf er die Bezeichnung eines Giftmischers verdiente. Sein Ruf war ein solcher, daß ehrliche Leute nicht bei oder mit ihm verkehrten.
Es war ein wunderbar schöner Apriltag, als er an einem der rohen Tische saß, welche vor seiner aus Luftziegeln errichteten Hütte standen. Er schien bei schlechter Laune zu sein, denn er klopfte mit dem leeren Schnapsglase auf die Platte des Tisches, und als nicht sofort jemand erschien, ihm dasselbe zu füllen, rief er, sich nach der offenen Thür wendend, in zornigem Tone:
»Holla, alte Hexe! Hast du keine Ohren? Brandy will ich haben, Brandy! Mach schnell, sonst helfe ich nach!«
Da trat eine alte Negerin mit der Flasche aus der Hütte und füllte ihm das Glas. Er leerte es in einem Zuge, ließ sich wieder eingießen, und während sie dies that, sagte er:
»Den ganzen Tag kein einziger Gast zu sehen! Die roten Halunken wollen das Trinken nicht lernen. Wenn dann auch kein Fremder kommt, kann ich mich hersetzen und mir Löcher in den eigenen Magenbrennen!«
»Nicht allein sitzen,« begütigte die Alte. »Gäste kommen.«
»Woher weißt du das?« fragte er.
»Hab' sehen.«
»Wo?«
»Auf Weg von Tubac her.«
»O wirklich? Wer ist's?«
»Nicht wissen. Alte Augen nicht erkennen. Es Reiter sein, viele Reiter.«
Auf diese Worte hin stand er auf und eilte um die Ecke der Hütte. Von dort aus konnte er den Weg nach Tubac überblicken. Dann kam er schnell zurück und rief der Alten zu:
»Es sind die Finders, verstanden, die Finders, und zwar alle zwölf! Die verstehen es, zu trinken; da blüht der Weizen. Schnell hinein; wir müssen Flaschen füllen!«
Beide verschwanden in der Hütte. Nach einigen Minuten kamen zwölf Reiter in das Dorf, hielten vor der Hütte an und sprangen von den Pferden, die sie dann frei laufen ließen. Es waren wilde Gestalten von verwegenem Aussehen und so gut bewaffnet, wie es in dieser Gegend und bei den jetzigen Verhältnissen für jedermann nötig war. Einige trugen mexikanische Kleidung; die andern stammten aus den Staaten; das sah man ihnen deutlich an. Eins aber hatten sie alle gemein: es gab keinen einzigen unter ihnen, der ein vertrauenerweckendes Aussehen besaß.
Sie lärmten und schrieen roh durcheinander, warfen sich Scheltworte zu, einer von ihnen trat an die geöffnete Thür, zog seinen Revolver, gab einen Schuß in das Innere der Hütte ab und rief dann hinein:
»Hallo, Paddy! Bist du daheim oder nicht, alter Giftmischer? Komm heraus mit deiner Schwefelsäure; wir haben Durst!«
Paddy ist bekanntlich die scherzhafte Bezeichnung des Irländers. Der Wirt erschien mit einer vollen Flasche unter jedem Arme und zwölf Gläsern in den Händen. Die Gläser auf zwei Tische setzend und sie dann füllend, antwortete er:
»Bin schon da, Mesch'schurs. Waret schon angemeldet; meine Schwarze hat euch kommen sehen. Hier, trinkt, und seid gebenedeiet in meinem Hause!«
»Behalte die Benediktion für dich, alter Spitzbube, außer sie soll als Vorbereitung zum Tode gelten! Wer dein Zeug trinkt, begeht einen Selbsttotschlag.«
»Schlagt euch nur immer tot, Mr. Buttler; werde euch mit einer weiteren Flasche wieder auferwecken. Haben einander seit Wochen nicht gesehen. Wie ist's inzwischen ergangen? Gute Geschäfte gemacht?«
»Gute?« antwortete Buttler mit einer wegwerfenden Handbewegung und indem er den Inhalt seines Glases hinunterstürzte, worin ihm seine Kameraden folgten. »Miserabel ist's gegangen, armselig wie noch nie. Haben nicht ein einziges Geschäft gemacht, welches der Rede wert gewesen wäre.«
»Aber warum? Ihr werdet doch die Finders genannt und nennt euch selbst auch so. Habt ihr die Augen nicht offen gehalten? Ich glaubte, heut ein gutes Geschäft mit euch machen zu können.«
»Das heißt, du wolltest uns den erwarteten Raub abkaufen und uns dabei wieder betrügen, wie du ja immer thust. Diesmal aber gibt es nichts, wirklich nichts. Den Roten ist nichts mehr abzunehmen, und wenn man einem Weißen begegnet, so ist er selbst einer, der in andrer Leute Taschen greifen muß. Dazu kommt der Sicherheitsausschuß, den der und jener holen möge! Was haben diese Halunken sich in unser Geschäft zu mischen? Was kümmert es sie, wenn wir da ernten, wo wir nicht, aber auch sie nicht, gesäet haben. Wahrlich, man muß jetzt darauf vorbereitet sein, aus jedem Strauche, an welchem man vorüberkommt, die Läufe einiger Doppelgewehre hervorblicken zu sehen! Aber Aug' um Aug', Zahn um Zahn! Wir haben uns vorgenommen, jeden ohne Gnade und Barmherzigkeit aufzuhängen, der den Verdacht in uns erweckt, zu diesem Vigilanzausschusse zu gehören. Hast du vielleicht dergleichen Burschen bei dir bemerkt, Paddy?«
»Hm!« brummte der Wirt. »Traut ihr mir zu, allwissend zu sein? Kann man es einem Menschen an der Nase absehen, ob er vigiliert oder, wie ihr, massakriert?«
»Blamiere dich nicht, Paddy! Ein Vorstehhund ist von einem Bluthund leicht zu unterscheiden, auch wenn beide Menschen sind. Ich gebe dir mein Wort, daß ich jedem Menschen, der zu diesem Ausschusse gehört, dies auf fünfzig Schritt Entfernung ansehe. Doch jetzt einstweilen von etwas anderm. Wir haben Hunger. Hast du Fleisch?«
»Nicht so viel, wie man auf die Zungenspitze bringen kann.«
»Eier?«
»Kein einziges. Lauft stundenweit herum, und ihr werdet kein Schlachttier noch eine Henne finden. Daran sind euresgleichen schuld, welche überall aufgeräumt haben.«
»Aber Brot?«
»Nur Maisfladen, und auch die müssen erst gebacken werden.«
»So mag deine Negerin backen; für frisches Fleisch werden wir selbst Sorge tragen.«
»Ihr? Ich habe euch doch schon gesagt, daß nichts zu finden ist.«
»Pshaw! Wir haben doch gefunden.«
»Was?«
»Einen Ochsen.«
»Wohl gar! Unmöglich! Wo denn?«
»Unterwegs, da hinten im Thale von Santa Cruz. Notabene, dieser Ochse gehört zu einem Wagenzuge, dem wir begegnet, oder vielmehr, an dem wir vorübergeritten sind.«
»Ein Wagenzug? Vielleicht Emigranten?«
»Wahrscheinlich; vier Wagen, jeder mit vier Ochsen bespannt.«
»Wieviel Menschen?«
»Weiß ich nicht genau. Es waren nebst den Ochsenlenkern noch einige Reiter bei den Wagen. Wieviel Personen im Innern saßen, konnte ich nicht sehen.«
»Aber gesprochen habt ihr doch mit ihnen?«
»Ja. Sie wollen über den Colorado hinüber und werden heut nacht hier Rast halten.«
»Hier? Hm! Hoffentlich geschieht nichts, was unsern guten Ort in Verruf bringen könnte, Sir!«
Er machte bei diesen Worten eine nicht mißzuverstehende Gebärde.
»Keine Sorge!« antwortete Buttler. »Wir wissen unsre Freunde zu schonen. Freilich, der Wagenzug muß unser werden, aber erst, wenn er sich jenseits Tucson befindet. Hier werden wir uns bloß einen Ochsen holen, weil wir Fleisch brauchen.«
»Mit der Absicht etwa, ihn zu bezahlen? Es wird diesen Leuten nicht einfallen, ein Zugtier zu verkaufen.«
»Unsinn! Was fällt dir ein, Paddy! Wir nehmen wohl, aber wir bezahlen nie; das weißt du ja. Wenn wir bei dir einkehren, ist es freilich anders. Du bist unser Hehler, und dich bezahlen wir nicht bloß, sondern wir lassen uns sogar von dir betrügen. Uebrigens werden uns diese Leute nicht viel Widerstand leisten. Es gab da vier Ochsentreiber, die wir kaum rechnen, zwei Knaben zu Pferde und den Scout, den sich die Emigranten gemietet haben. Dieser letztere allein ist zu fürchten, doch werden wir zwölf schnell mit ihm fertig werden. Er bekommt die erste Kugel. Wer in den Wagen saß, weiß ich nicht, wie bereits gesagt; aber wer so weichlich ist, sich unter die Plane zu stecken, von dem haben wir keine ernste Gegenwehr zu erwarten. Dann ritt noch so eine Figur hinterdrein, von der ich wahrlich nicht zu sagen vermag, ob sie eine männliche oder eine weibliche gewesen ist, obgleich sie ein Gewehr überhängen hatte und unter dem Mantel sogar einen Säbel zu tragen schien. Ich redete auch diese Gestalt an, bekam aber eine höchst kurze Antwort, die ich nicht verstand. Wenn ich mich nicht irre, ist es Deutsch gewesen.«
»Welch ein Blödsinn! Wer hier einen Säbel trägt, der ist verrückt und jedenfalls nicht zu fürchten. Ihr werdet also diesen Zug überfallen?«
»Gewiß.«
»Dann hoffe ich, daß ihr mich bei dem Geschäft beteiligen werdet!«
»Natürlich. Die Bedingungen sollst du sofort hören.«
Da jetzt die alte Negerin aus der Hütte trat, um die Gäste zu bedienen, steckten die beiden die Köpfe zusammen, um ihr Gespräch leise fortzusetzen. Die andern elf hatten auf dasselbe wenig geachtet und sich miteinander in überlauter Weise unterhalten, wobei sie dem Brandy so fleißig zusprachen, daß die leer gewordenen Flaschen bald mit vollen vertauscht werden mußten. Die Indianer des Ortes, welche währenddem ihren Beschäftigungen nachzugehen hatten, machten ziemliche Umwege, um nicht an der Schnapsbude vorüber zu kommen. Sie fürchteten sich vor den lärmenden Weißen, von denen ihnen die Erfahrung sagte, daß sie besser fern von denselben blieben.
Und dazu hatten sie allen Grund. Der Irländer hatte die zwölf Reiter mit dem Namen »the Finders« bezeichnet. So wurde eine überall gefürchtete Gesellschaft von Freibeutern genannt, die sich seit längerer Zeit im südlichen Arizona berüchtigt gemacht hatte. Sie tauchte bald hier, bald dort, oft geteilt und an verschiedenen Orten zu gleicher Zeit auf und entwickelte, da ihre Mitglieder sehr gut beritten waren, in Beziehung auf die Ortsveränderung eine solche Schnelligkeit, daß es noch niemand, selbst den Vigilanzmännern nicht, gelungen war, einem von ihnen beizukommen. Finder ist gleichbedeutend mit dem gleichlautenden deutschen Worte Finder, war hier aber wohl mit »die Findigen« zu übersetzen, weil ihnen nicht leicht eine Beute zu entgehen vermochte.
Plötzlich verstummte der Lärm vor der Schenkhütte, und aller Augen richteten sich verwundert auf drei neue Ankömmlinge, welche auf dem Platze erschienen. Das Aussehen dieser drei Männer berechtigte allerdings einen jeden, der sie zum erstenmal sah, verwundert zu sein. Sie waren von ihren Tieren gesprungen und gingen nach einem leerstehenden Tische, ohne, wie es den Anschein hatte, die anwesende Gesellschaft zu beachten.
Der vorderste von ihnen war ein kleines, sehr dickes Kerlchen. Unter der wehmütig herabhängenden Krempe eines Filzhutes, dessen Farbe, Alter und Gestalt selbst dem schärfsten Denker ein nicht geringes Kopfzerbrechen verursacht haben würde, blickte zwischen einem Walde von verworrenen, schwarzgrauen Barthaaren eine Nase hervor, welche von fast erschreckenden Dimensionen war und jeder beliebigen Sonnenuhr als Schattenwerfer hätte dienen können. Infolge des gewaltsamen Bartwuchses waren außer diesem so verschwenderisch ausgestatteten Riechorgane von den andern Gesichtsteilen nur zwei kleine, kluge Augen zu bemerken, welche mit einer außerordentlichen Beweglichkeit begabt zu sein schienen und mit dem Ausdrucke schalkhafter List die »Gifthütte« des Irländers überflogen, während ihr versteckter Blick eigentlich den zwölf Finders galt.
Die beschriebene Oberpartie ruhte auf einem Körper, der bis auf die Kniee herab völlig unsichtbar blieb und in einem alten, bockledernen Jagdrocke stak, welcher augenscheinlich für eine bedeutend längere Person angefertigt worden war, aus Fleck auf Fleck und Flick auf Flick bestand und dem kleinen Männchen das Aussehen eines Kindes gab, welches sich zum Vergnügen einmal in den Schlafrock des Großvaters gesteckt hat. Aus dieser mehr als zulänglichen Umhüllung guckten zwei dürre, sichelkrumme Beinchen hervor, die in ausgefransten Leggins steckten, welche so hochbetagt waren, daß sie das Männchen schon vor Jahrzehnten ausgewachsen haben mußte, und die dabei einen umfassenden Blick auf ein Paar Indianerstiefel gestatteten, in welchen zur Not der Besitzer in voller Person hätte Platz finden können. Die Füße hatten jene außerordentliche Dimension, von welcher man in Deutschland zu sagen pflegt: »Mit fünf Schritten über die Rheinbrücke hinüber.« In der Hand trug dieser Mann eine Flinte, die das Aussehen eines alten Prügels hatte, der im Walde abgeschnitten worden war. Die Waffen, welche wahrscheinlich in seinem Gürtel steckten, konnte man nicht sehen, weil der Jagdrock sie verdeckte.
Und sein Pferd? Es war kein Pferd, sondern ein Maultier, aber augenscheinlich ein so altes, daß die Eltern desselben kurz nach der Sündflut gelebt haben mußten. Die langen Ohren, mit denen es wie mit Windmühlenflügeln spielte, waren kahl; eine Mähne gab es wohl schon längst nicht mehr; der Schwanz bestand aus einem nackten Stummel, an welchem sich zehn oder zwölf Härchen langweilten, und dazu war das Tier wirklich zum Erschrecken dürr. Aber seine Augen waren hell wie bei einem jungen Füllen und von einer Lebhaftigkeit, einem Ausdrucke, welche wenigstens dem Kenner Respekt einzuflößen vermochten.
Derjenige, der ihm nach dem Tische folgte, war nicht weniger ein Original. Unendlich lang und entsetzlich fleischlos und ausgetrocknet, hing seine knochige Gestalt weit vornüber, so daß es schien, als gebe es für seine Augen keine andre Perspektive als diejenige auf seine beiden Füße, welche an zwei Beine gewachsen waren, deren Längsausdehnung einem angst und bange machen konnte. Ueber seine festen, kernigen Jagdschuhe hatte er ein Paar lederne Gamaschen geschnallt, welche noch ein gutes Stück des Oberschenkels bedeckten; der Leib steckte in einem eng anliegenden Kamisole, das mittelst eines breiten Gürtels, in und an welchem neben Messer und Revolver die verschiedensten kleinen Notwendigkeiten staken und hingen, zusammengehalten wurde; um die breiten, eckigen Schultern zog sich eine wollene Decke, deren Fäden die ausgedehnteste Erlaubnis hatten, nach allen Himmelsgegenden auseinander zu laufen, und auf dem kurzgeschorenen Kopfe saß ein Ding, nicht Tuch, nicht Mütze und auch nicht Hut, dessen Definition geradezu eine Sache der reinsten Unmöglichkeit war. Auf seiner Schulter hing eine alte, lange Rifle, die von weitem aus einem an einen Stock befestigten Wasserschlauch zu bestehen schien.
Der dritte und letzte war ebensolang und dürr, wie dieser zweite, hatte ein großes, dunkles Tuch turbanartig um den Kopf gewunden und trug eine rote Husarenjacke, welche sich auf irgend eine unbegreifliche Weise nach dem fernen Westen verirrt hatte, lange Leinenhose und darüber Wasserstiefel, an welche zwei riesige Sporen geschnallt waren. In seinem Gürtel steckten zwei Revolver und ein Messer vom besten Kingfieldstahl; sein Gewehr war eine jener doppelläufigen Kentuckybüchsen, welche in der Hand ihres Besitzers nie einen Schuß versagen und nie das Ziel verfehlen. Wollte man in der Physiognomie dieses Mannes nach irgend einer Eigentümlichkeit suchen, so fiel der sehr breite Mund auf, den er hatte. Die beiden Mundwinkel schienen eine ganz bedeutende Zuneigung für die Ohrläppchen zu besitzen und näherten sich denselben auf die zutraulichste Weise. Dabei besaß das Gesicht den Ausdruck der ehrlichsten Treuherzigkeit; der Besitzer desselben war jedenfalls ein Mann, in dem kein Falsch gefunden werden konnte.
Diese beiden letzteren waren mit Pferden beritten, die wohl schon viele Strapazen hinter sich hatten, aber noch weit mehr aushalten konnten.
Als die drei sich niedergesetzt hatten und der Wirt zu ihnen trat und nach ihren Wünschen fragte, erkundigte sich der Kleine:
»Was gibt's bei Euch zu trinken?«
»Brandy, Sir,« antwortete der Irländer.
»Gebt drei Gläser, wenn Ihr sonst weiter nichts habt!«
»Was soll es sonst hier geben? Oder wollt ihr vielleicht Champagner trinken? Ihr seht nicht so aus, als ob ihr ihn bezahlen könntet.«
»Leider, leider, ja,« nickte das Männchen mit bescheidenem Lächeln, »Ihr im Gegenteile seht mir ganz danach aus, als ob Ihr so einige hunderttausend Flaschen hier liegen hättet, wie mir scheint.«
Der Wirt entfernte sich, brachte das Verlangte und setzte sich dann wieder zu den zwölfen hin. Der Kleine setzte das Glas an die Lippen, kostete den Brandy, spuckte ihn aus und schüttete den Inhalt seines Glases auf die Erde. Seine beiden Gefährten thaten dasselbe, und der mit der Husarenjacke zog seinen Mund noch breiter, als er so schon war, und meinte:
»Pfui, Kuckuck! Ich glaube gar, dieser irische Spitzbube will uns mit seinem Brandy ermorden! Meinst du nicht auch, Sam Hawkens?«
»Yes,« antwortete der Kleine. »Wird ihm aber nicht gelingen. Wir drei vertragen schon noch so ein Gift, zumal wir es nicht trinken. Aber wie kommst du dazu, ihn einen irischen Spitzbuben zu nennen?«
»Wie ich dazu komme? Well! Wer den nicht sofort beim ersten Blicke für einen Irländer hält, der ist ein Dummkopf, wie er im Buche steht.«
»Sehr richtig! Aber daß du es ihm sofort angesehen hast, das wundert mich grad darum außerordentlich, hihihihi!«
Dieses »Hihihihi« war ein ganz eigenartiges, man möchte sagen, nach innen gerichtetes Lachen, bei welchem seine Aeuglein lustig funkelten. Man hörte, daß es ein Gewohnheitslachen war.
»Willst du damit etwa sagen,« fragte der andre, »daß ich sonst ein Dummkopf bin?«
»Sonst? Warum bloß sonst? Nein, immer, immer bist du einer, Will Parker! Ich habe dir nun schon fünfzehn Jahre lang gesagt, daß du ein Greenhorn bist, ein Greenhorn, wie mir noch keines vorgekommen ist. Wirst du mir es nun endlich einmal glauben?«
»Nein,« erklärte der andre, ohne sich durch dieses beleidigende Wort nur im geringsten aus der Fassung bringen zu lassen. »Nach fünfzehn Jahren ist man kein Greenhorn mehr.«
»Durchschnittlich, ja; aber wer selbst in diesen fünfzehn Jahren nichts gelernt hat, der ist noch immer eins und wird's auch immer bleiben, wenn ich mich nicht irre. Und eben daß du dies nicht einsiehst, das ist der sicherste Beweis, daß du noch jetzt ein Greenhorn bist. Was hältst du von den zwölf Gentlemen dort, die uns so neugierig beliebäugeln?«
»Viel Gutes nicht. Siehst du, wie sie lachen? Das gilt dir, alter Sam.«
»Mir? Wieso?«
»Weil es keinen Menschen gibt, der dich ansehen kann, ohne über dich zu lachen.«
»Freut mich, Will Parker, freut mich ungemein. Das gehört nämlich auch zu den vielen Vorzügen, welche ich vor dir besitze. Wer ein Auge auf dich wirft, möchte weinen, bitterlich weinen; bist eben ein trauriger Kerl, ein ganz trauriger, hihihihi!«
Sam Hawkens und Will Parker schienen in dem Verhältnisse einer immerwährenden lustigen Fehde zu einander zu stehen. Keiner nahm dem andern etwas übel. Der dritte hatte bis jetzt geschwiegen; nun zog er behaglich seine herabgerutschten Gamaschen in die Höhe, streckte die langen Beine weit von sich und sagte, indem ein derb ironisches Lächeln sich über sein hageres Gesicht ausbreitete:
»Wissen nicht, was sie aus uns machen sollen, diese Gentlemen. Stecken die Köpfe zusammen und werden doch nicht klug über uns. Feine Gesellschaft das; nicht, Sam Hawkens?«
»Ja,« nickte der Gefragte. »Laß sie sich die Köpfe zerbrechen, Dick Stone! Desto besser wissen wir, was wir von ihnen zu halten haben; Spitzbuben, was, alter Dick?«
»Yes. Ahnt mir sehr, daß wir ein Wörtchen mit ihnen werden sprechen müssen.«
»Mir auch. Und nicht nur ahnen! Halte es sogar für sicher, daß wir ihnen unsre Fäuste auf die Nasen setzen werden. Es sind grad genau die zwölf, auf deren Spur wir trafen.«
»Und die dann dem Wagenzuge folgten, um denselben erst heimlich zu beobachten.«
»Dann ritt der eine hin und fragte die Leute aus. Kommt mir verdächtig vor, sehr verdächtig! Sag 'mal, Will, hast du vielleicht einmal von den Finders gehört?«
»Gehört?« antwortete Parker. »Dir ist wohl dein Gedächtnis abhanden gekommen, altes Coon? Hast ja selbst wiederholt von ihnen gesprochen!«
»Well, weiß das ganz genau. Fragte nur, um zu erfahren, ob du als Greenhorn endlich einmal gelernt hast, aufzupassen, wenn erfahrene Leute mit dir reden. Du weißt also noch, wie viel Finders es geben soll?«
»Zwölf.«
»Und wieviel Personen siehst du hier sitzen, geliebter Will?«
»Dreizehn,« lachte Parker vergnügt.
»Zieh den Wirt ab, Dummkopf!«
»Wie hätte ich das zu machen? Wird er es ruhig hinnehmen, daß ich ihn abziehe?«
»Bist und bleibst ein Greenhorn durch und durch! Hätte gar nichts dagegen, wenn du selbst abzögest! Hast noch nicht 'mal gelernt, einen Irländer abzuziehen; darum will ich deinem schwachen Verstande zu Hilfe kommen und dir sagen, daß ohne ihn zwölf Personen dort sitzen. Begreifst du das, süßer Parker?«
»Yes, lieber Sam. Kenne dich genau und wußte also, daß du ihn selbst gern abziehen möchtest. Darum habe ich mich verstellt und so gethan, als ob ich im Subtrahieren grad so wenig leistete wie du. Also zwölf sind's; du hast diesesmal gar nicht übel gerechnet, mein Sohn. Hoffentlich gibst du dir ferner hin die gleiche Mühe wie jetzt. Zwölf, hm! Das ist freilich auffällig!«
»Auffällig? Findest du das wirklich? Da hat das Greenhorn doch endlich 'mal eine Spur von Nachdenken verraten! Nun sag aber auch, wieso denn auffällig?«
»Sie sind zwölf, und die Finders sollen auch zwölf sein,« antwortete Parker mit unerschütterlicher Ruhe.
»Folglich –? Fahre weiter!«
»Folglich ist anzunehmen, daß sie vielleicht die Finders sind.«
»So ist es, geehrter Will. Hab sie sehr im Verdachte, sie seien es. Der Anführer soll Buttler heißen. Werden erfahren, ob ein Esquire dieses Namens bei ihnen ist.«
»Werden es dir gleich sagen!«
»Keine Sorge! Sind neugierig auf uns, diese Gentlemen. Sehe ihnen an den Nasenspitzen an, daß bald einer von ihnen kommen wird, um uns zu interviewen. Gebt ihnen nur keine Auskunft. Bin neugierig, wie sie es anstellen werden.«
»Höflich jedenfalls nicht,« meinte Dick Stone. »Werden sie nicht allzu fein ablaufen lassen.«
»Warum?« fragte Sam Hawkens. »Meinst wohl, daß wir grob werden sollen?«
»Sogar sehr!«
»Fällt mir nicht ein! Wir drei werden zusammen ›the leaf of trefoil‹ genannt; ist ein Ehrenname; dürfen ihm keine Schande machen; sind bekannt als drei zusammengehörige Gentlemen, welche dadurch berühmt sind, daß sie durch List und Höflichkeit mehr zu erreichen pflegen als durch Grobheit und Gewalt. So soll es auch hier sein, so und nicht anders.«
»Well; aber dann werden diese Burschen glauben, daß wir uns vor ihnen fürchten!«
»Mögen sie, mögen sie immerhin, alter Dick. Wenn sie es thäten, würden sie sehr bald einsehen, daß sie sich geirrt haben, und zwar sehr, hihihihi! Das Kleeblatt, und sich fürchten! Kann darauf schwören, daß wir mit ihnen zusammengeraten. Wollen den Wagenzug überfallen, was wir nicht dulden werden. Mögen also erst immer denken, daß wir Angst haben; werden dann schon bald erkennen, daß sie sich geirrt haben.«
»Willst du mit ihnen kämpfen?«
»Nein.«
»Aber doch sie unschädlich machen, wenn sie die Finders sind?«
»Ja.«
»Wird kaum ohne Kampf abgehen!«
»Meinst du? Pshaw! Dieses alte Coon« – dabei deutete er mit Behagen auf sich selbst – »hat zuweilen Gedanken, welche besser sind als Messerstiche und Flintenschüsse. Mache gern einen Spaß, und ist dabei ein Vorteil über die Gegner zu erringen, so ist es um so besser. Mag nicht gern Blut vergießen; man kann seiner Feinde Herr werden, auch ohne sie umzubringen und auszulöschen. Habe da meine Vorbilder.«
»Weiß genau, wer diese Vorbilder sind.«
»Du weißt es wirklich? Nun, wer?«
»Old Shatterhand, Old Firehand und Winnetou, der berühmte Häuptling der Apachen. Diese drei vergießen nie einen Tropfen Blutes, außer wenn es unumgänglich notwendig ist.«
»Well, ist richtig, und doch sind sie bekannt und berühmt als die drei größten Helden des Westens. Will es auch so machen, will ihrem Beispiele folgen.«
»Und wohl auch ein Held werden, alter Sam?« fragte Will Parker in scherzhaft ironischem Tone.
»Schweig, Greenhorn! Sam Hawkens weiß genau, wer er ist und was er leisten kann. Hast du nicht gesehen, daß ich es mit zwei Dutzend Roten aufgenommen habe?«
»Yes.«
»Daß ich viel, vielmal durch List Ziele erreichte, an denen fünfzig und noch mehr verwegene Westmänner gescheitert wären und ihr Leben gelassen hätten?«
»Yes. Was wahr ist, darf man nicht leugnen. Bist ein ganzer Kerl, Sam, ein verteufelt feiner Pfiffikus, und viele, viele haben es teuer bezahlen müssen, daß sie den Fehler begingen, dich für dumm zu halten.«
»Well, werde also wohl auch mit diesen zwölf zu Ende kommen, ohne ihnen geradezu die Köpfe entzweischlagen oder Löcher durch die Leiber schießen zu müssen.«
»Also List?«
»Yes.«
»Welche?«
»Weiß jetzt noch nicht; wird sich aber im betreffenden Augenblick ergeben. Müssen uns zunächst verstellen, uns auslachen lassen, müssen recht unerfahren thun.«
»Wie Greenhörner?«
»Ja, wie Greenhörner, was freilich bei dir, Will Parker, keiner Verstellung bedarf, da du wirklich eins bist. Seht, wie sie über meine Mary, über mein Maultier lachen!«
»Ist aber auch keine Schönheit, Sam!«
»Schönheit? Unsinn! Ein häßliches Vieh ist sie, ein großartig häßliches Vieh; aber ich vertausche sie dennoch nicht gegen tausend edle Rosse. Ist klug, erfahren und verständig wie – wie – wie, na, wie Sam Hawkens, ihr Herr, selber, und hat mir hundertmal das Leben gerettet. Hab sie aber auch nie, nie im Stiche gelassen und würde mein Leben wagen, wenn sie sich in Gefahr befände. Meine Mary ist eben meine Mary, einzig, unübertrefflich und mit keinem andern Viehzeug zu vergleichen, sonst aber eine störrische, heillose, niederträchtige Bestie, welche man am liebsten gleich totschießen sollte.«
»Grad wie deine Liddy,« warf Dick Stone ein.
»Ja, die Liddy erst,« nickte Sam Hawkens, wobei seine kleinen Aeuglein funkelten und er mit der Hand liebkosend über sein altes, sonderbares Gewehr strich. »Die Liddy ist mir ebenso lieb wie die Mary; sie hat mir nicht ein einzigesmal versagt, mich nie im Stich gelassen. Wie oft hat Freiheit und Leben von ihr abgehangen, und stets hat sie ihre Schuldigkeit gethan. Freilich hat sie auch ihre Mucken, ihre großen Mucken, und wer sie nicht kennt, dessen Kürbis schwimmt gegen das Wasser6. Ich aber kenne sie, ich habe sie studiert wie der Arzt die Karfunkelbeule; ich weiß genau, welche Vorzüge und welche Schwächen sie besitzt und an welcher Stelle ich sie streicheln und liebkosen muß, um sie bei guter Laune zu erhalten. Ich gebe sie nicht aus der Hand, bis ich sterbe, und wenn ich einmal tot bin, und ihr seid dabei, so thut mir den Gefallen und gebt mir meine Liddy mit unter den Rasen, mit dem ihr mich bedeckt. Kein andrer, der sie nicht kennt und lieb hat, soll sie jemals in die Hände bekommen. Die Mary, die Liddy, Dick Stone und Will Parker, das sind die vier, die mir ans Herz gewachsen sind und außer denen ich nichts mag und nichts besitze auf der ganzen weiten Welt.«
Ein feuchter Schimmer verdrängte das vorher so helle Funkeln seiner Augen, doch strich er mit den beiden Händen schnell über dieselben und sagte in wieder munterem Tone:
»Seht, da steht einer von den zwölfen auf, der, welcher mit dem Wirte so heimlich gemunkelt hat. Höchst wahrscheinlich kommt er her, um uns zu äffen. Well, die Komödie kann losgehen; aber verderbt sie mir nicht etwa!«
Man darf sich nicht darüber wundern oder es gar belächeln, daß Sam Hawkens seinem Maultiere und seinem Gewehre solche Kosenamen gegeben hatte und in so zärtlicher Weise von ihnen sprach. Die Westmänner vom alten Schrote und Korne – leider ist diese Sorte bis auf wenige, die man zählen kann, jetzt ausgestorben – waren ganz andre Menschen als das Gesindel, welches nach ihnen kam. Unter dem Ausdrucke Gesindel sind hier nicht etwa nur moralisch verkommene Menschen gemeint; dieses Wort hat hier eine andre als die gewöhnliche Bedeutung. Wenn ein Millionär, ein Bankier, ein Offizier, ein Advokat, meinetwegen auch der Präsident der Vereinigten Staaten selbst, nach dem Westen geht, ausgerüstet mit den jetzigen massenmörderischen Waffen, ängstlich behütet und bewacht von einer zahlreichen Begleitung, damit ihm ja keine Mücke in die Hühneraugen beißt, und von einem sicheren Standorte aus das Wild zu hundert Exemplaren niederknallt, ohne dessen Fleisch gegen den Hunger zu gebrauchen, so wird dieser hohe und vornehme Herr von dem wirklichen Westmann eben zum »Rabble«, zum Gesindel gerechnet. Der Indianer, der Westmann vom Fache, »machte« nur dann Fleisch, wenn er es brauchte. Er fing das ihm nötige Pferd aus einer Herde wilder Mustangs heraus; er kannte die Zeiten, wenn die Büffel von Süden nach Norden zogen und wenn sie zurückkehrten; er wußte die Gegenden, durch welche sie auf ihren Wanderungen kamen, und machte dort und dann Jagd auf sie, nur um sein Leben zu fristen. Da traf man auf Mustangherden zu fünftausend Stück; da kamen die Bisons gewallt wie ein Meer, zwanzig- und dreißigtausend und noch mehr zählend. Wo sind diese ungeheuren Massen hin? Verschwunden! So weit die Savannen reichen, ist kein einziger Mustang mehr zu sehen. Ausgerottet, vernichtet! Im Nationalparke droben »hegt« oder »schont« man jetzt einige Büffel; hier oder da kann man in irgend einem zoologischen Garten noch einen einzelnen sehen; aber in der Prairie, welche sie früher zu Millionen bevölkerten, sind sie ausgestorben; der Indianer verhungert körperlich und moralisch, und einen wirklichen, echten Westmann sieht man nur noch in Bilderbüchern. Daran ist das schuld, was der Trapper, der Squatter »Gesindel« nennt. Man sage ja nicht, daß der Grund in dem Vorrücken der Zivilisation liege. Die Zivilisation hat nicht die Aufgabe der Ausrottung, der Vernichtung. Wie oft thaten sich, als die Pacificbahnen erstanden, Gesellschaften von hundert und noch mehr »Gentlemen« zusammen, um, mit Gewehren »neuester« Konstruktion bewaffnet, einen Jagdausflug zu unternehmen. Sie dampften nach dem Westen, ließen in der Prairie halten und schossen aus den sicheren Coupés heraus auf die vorüberziehenden Büffelherden; dann fuhren sie weiter, ließen die Tierleichen zum Verfaulen liegen und rühmten sich, Prairiejäger gewesen zu sein und ein »excellent and eximious« Vergnügen gehabt zu haben. Dabei waren auf ein wirklich getötetes Tier zehn und noch mehr angeschossene, verwundete zu rechnen, welche sich mühsam und schmerzvoll weiterschleppten, um dann elend zu verenden. Der Indianer stand von fern, sah mit ohnmächtigem Grimme zu, in welcher Weise man ihm seine Nahrung raubte, ihn zum Hunger trieb und konnte nichts dagegen thun. Beschwerte er sich, so wurde er ausgelacht; wehrte er sich, so wurde er niedergemacht wie die Büffel, welche er für sein Eigentum hielt und deshalb geschont hatte.
Ganz anders der wirkliche Westmann, der frühere Jäger. Dieser schoß nicht mehr, als er brauchte. Er holte sich das Fleisch mit Gefahr seines Lebens. Er wagte sich auf seinem Pferde mitten in die Büffelherde hinein. Er kämpfte mit dem Mustang, den er sich fangen und zähmen wollte; er trat selbst dem grauen Bären kühn entgegen; sein Leben war ein unaufhörlicher, aber ritterlicher Kampf mit feindlichen Verhältnissen, feindlichen Tieren und feindlichen – Menschen. Dabei mußte er sich auf sich selbst, auf sein Pferd und auf sein Gewehr verlassen können, wenn er nicht »ausgelöscht« werden wollte. Das Pferd war daher sein Freund, die Büchse seine Freundin. Wie mancher Jäger hat oft und zwar sehr oft sein Leben für sein Pferd gewagt! Und mit welcher Liebe hing er an seinem Gewehre, jenem toten, seelenlosen Gegenstande, dem seine dankbare Phantasie dennoch eine Seele beilegte. Er hungerte und dürstete, um vor allen Dingen sein Pferd fressen und saufen zu lassen, und sah erst auf sein Gewehr, ehe er an sich selber dachte. Er gab beiden Namen wie menschlichen Personen und sprach mit ihnen wie mit Menschen, wenn er einsam, nur mit ihnen allein sich in das Gras der Prairie oder in das Moos des Urwaldes gelagert hatte. Zu dieser Art von Westmännern gehörte Sam Hawkens. Die Rauheit seines wilden Lebens hatte sein Herz nicht verdorben, er war trotz derselben ein gemütvolles aber dabei außerordentlich schlaues Kind geblieben.
Was er erwartet hatte, das geschah: Buttler war aufgestanden, kam herbei, pflanzte sich gebieterisch vor dem Tische, an welchem die drei saßen, auf und sagte, ohne sie zu grüßen, in höhnischem Tone:
»Wie prächtig ihr euch ausnehmt, Leute! Ihr scheint höchst sonderbare, höchst lächerliche Drillinge zu sein!«
»Yes,« nickte Sam sehr ernsthaft und sehr bescheiden.
Dieses Eingeständnis klang so komisch, daß Buttler laut auflachte und, während seine Gefährten in das Gelächter einstimmten, fortfuhr:
»Wer seid ihr denn eigentlich?«
»Ich bin der erste,« antwortete Sam.
»Ich der zweite,« fügte Dick Stone hinzu.
»Und ich der dritte,« stimmte Will Parker ein.
»Der erste, der zweite, der dritte? Was denn?« fragte Buttler, nicht gleich wissend, was sie meinten.
»Na, Drilling natürlich!« antwortete Sam mit außerordentlicher Treuherzigkeit.
Ein zweites, allgemeines Gelächter folgte diesen seinen Worten. Buttler war geschlagen; darum fuhr er den Kleinen unwillig an:
»Macht keine dummen Witze! Ich bin gewohnt, ernsthaft mit mir verkehren zu lassen. Daß ihr nicht Drillinge sein könnt, sieht man ja. Ich wollte eure Namen wissen. Heraus damit also!«
»Ich heiße Grinell,« antwortete Sam kleinlaut.
»Und ich Berry,« gestand Dick furchtsam.
»Und ich White,« stieß Will sehr ängstlich hervor.
»Grinell, Berry und White,« meinte Buttler, »eure Namen kenne ich jetzt. Nun sagt mir auch, was ihr seid!«
»Fallensteller,« erklärte Sam Hawkens.
»Fallensteller?« lachte der Examinator. »Ihr seht mir ganz und gar nicht so aus, als ob ihr jemals einen Biber oder ein Racoon gefangen hättet!«
»Haben auch noch nicht,« gab der kleine Sam bescheiden zu.
»Ah, habt noch nicht! Wollt also wohl erst?«
»Yes.«
»Gut, sehr gut! Wo kommt ihr denn her?«
»Von Castroville unten herauf.«
»Was habt ihr dort getrieben?«
»Einen Kleiderladen, Compagniegeschäft zu dreien.«
»So so! Ist wohl schlecht gegangen?«
»Yes. Haben ein wenig Bankerott gemacht; hatten zu viel ausgeborgt, Kredit gegeben, aber keinen bekommen.«
»Richtig, richtig! Haben es euch gleich angesehen, daß ihr pleite gehen müßt. Also Kleiderhändler, vielleicht gar Schneider. Drei Schneider, die aus Ungeschick in die Pleite gefallen sind und nun den außerordentlich klugen Gedanken gefaßt haben, sich als Trapper wieder aufzuhelfen! Hört ihr es?«
Diese Frage war an seine Genossen gerichtet, welche dem Gespräche mit ironischem Behagen zuhörten. Sie ließen ein drittes, schallendes Gelächter hören. Sam Hawkens aber rief scheinbar zornig:
»Ungeschick? Da irrt Ihr Euch gewaltig, Sir. Wir wußten wohl, woran wir waren. Aus der Pleite mußte natürlich für uns etwas abfallen, sonst hätten wir sie nicht gemacht.«
Er zog seinen bockledernen Jagdrock vorn auf, klopfte auf seinen breiten Gürtel, daß es metallisch klang, und fügte stolz hinzu:
»Hier sitzen die Moneten, Sir!«
Das Gesicht Buttlers nahm den Ausdruck eines Raubvogels an, der nach Beute ausspäht, und in möglichst unbefangenem Tone fragte er:
»Ihr habt Moneten? Dann seid ihr freilich klüger gewesen, als ihr ausseht. Wieviel hat euch denn der Bankerott eingebracht?«
»Ueber zweitausend Dollar.«
»Die tragt ihr bei euch?«
»Yes.«
»Die ganze Summe?«
»Yes.«
»Auf der Reise, in dieser unsichern Gegend!«
»Pshaw! Wir haben Waffen.«
»Die würden euch verteufelt wenig nützen. Wenn zum Beispiel die Finders kämen, die würden euch drei Schneider ausbeuteln, ehe ihr nur Zeit fändet, die Augen aufzumachen. Warum habt ihr das viele Geld nicht lieber einer Bank anvertraut?«
»Werden es noch thun.«
»Wo?«
»Droben in Prescott.«
»Da hinauf wollt ihr?«
»Yes.«
»Als Fallensteller?«
»Yes.«
»Habt ihr denn Fallen?«
»Nein.«
»Woher wollt ihr sie nehmen?«
»In Prescott kaufen.«
»Himmel! Seid ihr Menschen! Was gedenkt ihr denn da oben zu fangen?«
»Biber und – und – und –«
Er stockte verlegen.
»Und – und – was denn weiter?« drang Buttler in den Kleinen.
»Grizzlybären.«
Da ertönte von den andern Tischen ein wahrhaft homerisches Gelächter herüber. Buttler lachte auch, daß ihm die Thränen in die Augen traten und der Atem versagte, und rief, als er sich einigermaßen beruhigt hatte:
»Grizzlybären wollt ihr in Fallen fangen, Grizzlybären, von denen einer neun Fuß hoch wird und auch neun Zentner wiegen wird! In Fallen fangen?«
»Warum nicht?« knurrte Sam verdrießlich. »Wenn nur die Fallen groß und stark genug sind!«
»Es gibt aber keine Grizzlyfallen und wird auch keine geben!«
»So lassen wir uns in Prescott von einem Schmiede welche machen.«
»Wie denn? In welcher Konstruktion?«
»Das werden wir ihm schon sagen.«
»Ihr drei Schneider? Halt auf, Kleiner, Dicker, halt auf, sonst ersticke ich!«
Er lachte wieder aus vollem Halse und konnte erst nach einer Weile fortfahren:
»Und selbst wenn das mit den Grizzlybären möglich wäre, so müßte man sich doch schon darüber halb totlachen, daß ihr, um Biber zu fangen, hinauf nach Prescott wollt.«
»Nach Prescott eigentlich nicht; dort wollen wir die Fallen kaufen; dann reiten wir nach dem Gila und dem San Franziskoflusse.«
»In welchem es zwei Zoll hoch Wasser gibt; wo sollen da die Biber herkommen!«
»Das laßt nur unsre Sorge sein, Sir! Hab ein Buch gelesen, in welchem alles steht, auch das von den Bibern.«
»Schön, schön, vortrefflich! Wenn ihr so klug seid, euch nach einem Buche zu richten, so läßt sich nichts weiter sagen. Ich wünsche euch so viel Biber und Bären, wie ihr wollt. Aber ihr werdet auch noch andres finden.«
»Was?«
»Wilde Indianer, welche euch Tag und Nacht umschleichen, um euch zu überfallen.«
»Da wehren wir uns.«
»Mit euern Waffen etwa?«
»Yes.«
»Zum Beispiel hier mit Eurer Flinte?«
»Yes.«
»Alle Wetter, werdet ihr da ungeheure Heldenthaten verrichten. Zeigt doch einmal das Schießholz her! Das müssen wir uns unbedingt besehen.«
Er nahm Sam Hawkens das Gewehr aus der Hand und ging mit demselben zu seinen Genossen hinüber, welche es unter den kräftigsten Bemerkungen betrachteten. Auch Dick Stone mußte seine lange Rifle zeigen, welche denselben ironischen Beifall fand; dann sagte Buttler, indem er die Gewehre zurückgab:
»Ich habe euch ein großes Unrecht gethan, Mesch'schurs, und muß euch deshalb um Verzeihung bitten.«
»Welches Unrecht?« fragte Sam.
»Ich hätte euch fast mit andern Leuten verwechselt.«
»Mit wem?«
»Mit dem Kleeblatte.«
»Kleeblatt? Wer ist das?«
»Das sind drei berühmte Jäger, welche stets beisammen sind und darum das Kleeblatt genannt werden, Sam Hawkens, Dick Stone und Will Parker.«
»Kennt Ihr die?«
»Nein, eben nicht, sonst wäre ich doch nicht in die Gefahr geraten, euch beinahe mit ihnen zu verwechseln.«
»Aber Ihr müßt doch wenigstens wissen, wie sie aussehen!«
»Das weiß ich auch. Sam Hawkens ist so klein und dick wie Ihr, und die beiden andern sollen so lang und dürr wie Eure Gefährten sein; das stimmt. Dazu kommt, daß Sam einen ledernen Jagdrock zu tragen pflegt, an welchem Fleck an Fleck so aufgenäht ist, daß kein Indianerpfeil mehr hindurchzudringen vermag. Ihr habt auch einen solchen Rock. Das ist nur Zufall, führte mich aber doch für einige Minuten irre. Jetzt freilich weiß ich, woran ich bin. Das Kleeblatt hat nicht mit alten Kleidern Pleite gemacht, ist jedenfalls ganz anders und weit besser beritten als ihr und würde nie solche Schießprügel auch nur berühren, wie die eurigen sind. Da man aber nie vorsichtig genug sein kann und besonders Sam Hawkens ein großer Pfiffikus sein soll, so will ich doch noch sicherer gehen, als ich bis jetzt gegangen bin. Ich habe gehört, daß Will Parker einmal skalpiert worden sein soll und infolgedessen eine Perücke trägt. Mr. Berry und Mr. White mögen mir also einmal ihre Köpfe zeigen!«
Buttler fühlte sich also noch nicht ganz beruhigt. Glücklicherweise war er falsch berichtet worden; nicht Will Parker, sondern Sam Hawkens hatte das entsetzliche Unglück gehabt, skalpiert zu werden. Stone und Parker entblößten bereitwillig ihre Häupter; Buttler griff in ihre Haare, überzeugte sich, daß es keine falschen waren, und sagte:
»All right, ihr seid drei Schneider, und ich will nun nur um euertwillen hoffen, daß ihr mit euern Gewehren jetzt ebenso umzugehen versteht wie früher mit euern Nähnadeln.«
»Keine Sorge!« meinte Sam sehr zuversichtlich. »Was wir treffen wollen, das treffen wir.«
»Wirklich?«
»Wirklich!«
»Wettschießen, wettschießen!« flüsterten diejenigen, welche Buttler am nächsten saßen, diesem zu.
Im Westen, wo fast jeder Mann ein guter Schütze ist, läßt nie jemand die Gelegenheit zu einem Wettschießen vorübergehen. Die Schützen messen sich gern miteinander; der Ruhm des Siegers spricht sich weit herum, und es werden oft dabei bedeutende Summen auf das Spiel gesetzt. Hier nun gab es nicht nur Gelegenheit zu einem Wett-, sondern sogar zu einem spaßhaften Schießen; die drei Schneider hatten wohl nicht gelernt, mit Gewehren umzugehen, und da die ihrigen nichts taugten, so gab es jedenfalls etwas zu lachen, wenn man sie dazu brachte, ihre vermeintliche Kunst zu zeigen. Darum sagte Buttler, um Sam anzustacheln, in zweifelndem Tone:
»Ja, mit der Nähnadel den Aermel eines Rockes treffen, das kann sogar ein Blinder; aber schießen, schießen, das ist doch etwas ganz andres. Habt Ihr denn schon einmal geschossen, Mr. Grinell?«
»Yes,« antwortete der Kleine.
»Wonach?«
»Nach Sperlingen.«
»Mit diesem Gewehre?«
»Nein, mit dem Blasrohre.«
»Mit dem Blasrohre!« lachte Buttler laut auf. »Und da denkt Ihr, daß Ihr auch mit dem Gewehre ein guter Schütze seid?«
»Warum nicht? Zielen ist doch zielen!«
»So? Wie weit könnt Ihr denn treffen?«
»Doch jedenfalls so weit, wie die Kugel läuft.«
»Sagen wir zweihundert Schritte?«
»Well.«
»Ungefähr so weit entfernt steht die zweite Hütte da drüben. Glaubt Ihr, sie zu treffen?«
»Die Hütte?« meinte Sam in beleidigtem Tone. »Die trifft ein Blinder, grad wie mit der Nadel den Rockärmel.«
»So wollt Ihr wohl sagen, daß das Ziel kleiner sein soll?«
»Yes.«
»Wie groß ungefähr?«
»Wie meine Hand.«
»Und das glaubt Ihr zu treffen, mit diesem Euerm Schießzeuge hier?«
»Yes.«
»Unsinn! Dieser Lauf muß ja gleich beim ersten Schuß zerplatzen, und wenn er das nicht thut, so ist er so krumm gezogen, daß Eure Kugeln um jede Hausecke biegen, nie aber gerade fliegen werden.«
»Versucht es doch einmal!«
»Wollen wir wetten? Ihr habt ja Geld dazu.«
»Nicht nur Geld, sondern auch Lust.«
»Wieviel setzt Ihr?«
»Soviel wie Ihr.«
»Also einen Dollar?«
»Einverstanden.«
»So gilt also die Wette. Aber wir wollen nicht nach jener Hütte schießen, weil der Besitzer es wohl nicht dulden würde, sondern ich –«
»Schießt nach der meinigen!« unterbrach ihn der Wirt. »Ich klebe an die hintere Front ein Papier, so groß wie meine Hand; dies ist das Ziel.«
Dieser Vorschlag wurde angenommen. Man begab sich nach der hintern Seite; das Papier wurde angeklebt, und dann zählte Buttler zweihundert Schritte ab. Er setzte einen Dollar, und Sam gab den seinigen. Darauf loste man, wer zuerst schießen solle. Das Los fiel auf Buttler. Er stellte sich in der abgemessenen Entfernung auf, zielte nur ganz kurz, drückte ab und traf das Papier.
Nun war die Reihe an Sam. Er machte die krummen Beinchen möglichst weit auseinander, legte seine Liddy an, bog sich weit, weit nach vorn und zielte eine lange, lange Zeit. In dieser Stellung sah er aus wie ein Photograph, welcher sich unter die Hülle seines Apparates beugt, um nach seinem Objekte zu visieren. Alle lachten. Da endlich krachte der Schuß, und Sam flog zur Seite, das Gewehr fallen lassend und mit der Hand die rechte Backe haltend. Das Gelächter wurde zum förmlichen Gejohle.
»Hat Euch die Flinte gestoßen, wohl gar einen Hieb gegeben?« fragte Buttler.
»Yes, sogar eine Ohrfeige ist's gewesen!« antwortete der Kleine wehmütig.
»Das Ding haut also; es scheint Euch selbst gefährlicher zu sein als andern Leuten. Wollen sehen, ob Ihr getroffen habt.«
Auf dem Papier war keine Spur von der Kugel zu bemerken. Man suchte lange, lange Zeit, bis endlich einer, welcher zur Seite gegangen war, unter dröhnendem Lachen den andern zurief:
»Kommt her zu mir! Es konnte mir nicht einfallen, hier zu suchen; aber da steckt sie, da, wer sie sehen will. Kommt her! Der Schnaps läuft aus dem Loche!«

Der Oelprinz. Von Karl May. [Ab Nr. 2: Von Dr. Karl May.] In: Der Gute Kamerad. 8. Jg. Stuttgart, Berlin, Leipzig (1893–1894). Nr. 14, S. 183-186.

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