Literarisches Werk




Übersicht


Originalsprache : Deutsch
Genre : Historiendrama, Tragödie
Umfang : ca. 73 Seiten
Thema : Judentum, Alfons VIII. (Kastilien), Eleonore Plantagenet
Ort : Spanien, Toledo
Zeit : 1195, 12. Jh.
Verlag : Reclam-Verlag

Kurzbeschreibung


»Die Jüdin von Toledo« ist ein Theaterstück von Franz Grillparzer. 1855 wurde das literarische Werk zuerst veröffentlicht.

Mitmachen / Fehler gefundenGern kannst Du bei Kritikatur mitmachen. Als kultureller Verein, Verlag, Buchhandlung oder als Nutzer angemeldet, bieten sich Dir vielfältige Möglichkeiten, sich zu präsentieren.

Auf dieser Seite befindet sich eine falsche Angabe oder es fehlt Information. Gib uns Bescheid, um hier nachzubessern.

Figuren


Alfonso VIII., König von Kastilien
Eleonore von England, seine Gemahlin
Der Prinz, beider Sohn
Manrique, Graf von Lara
Don Garceran, dessen Sohn
Isaak, der Jude
Esther, dessen Tochter
Rahel, dessen Tochter



Im königlichen Garten zu Toledo.

Isaak, Rahel und Esther kommen.



ISAAK.

Bleib zurück, geh nicht in Garten!

Weißt du nicht, es ist verboten?

Wenn der König hier lustwandelt,

Darf kein Jüd – Gott wird sie richten! –

Darf kein Jüd den Ort betreten.

RAHEL singt.

La la la la.

ISAAK.

Hörst du nicht denn?

RAHEL.

Ei, wohl hör ich.

ISAAK.

Nun, und weichst nicht?

RAHEL.

Hör und weiche doch nicht.

ISAAK.

Je, je, je!
was sucht mich Gott?

Gab doch meinen Deut den Armen,

Hab gebetet und gefastet,

Weiß nicht, wie Verbotnes schmecket,

Je, und dennoch sucht mich Gott!

RAHEL zu Esther.

Ei, was zerrst du mich am Arme?

Und ich bleib und gehe doch nicht.

Ich will mal den König sehen;

Und den Hof und all ihr Wesen,

All ihr Gold und ihr Geschmeide.

Soll ein Herr sein, weiß und rot,

Jung und schön, ich will ihn sehn.

ISAAK.

Und wenn dich die Knechte fangen?

RAHEL.

Ei, ich bitte mich wohl los.

ISAAK.

Ja, wie deine Mutter, gelt?

Die sah auch nach schmucken Christen,

War nach Misraims Töpfen lüstern.

Hielt ich sie nicht streng bewacht,

Glaubt ich – nu, Gott wird verzeihen! –

Deine Torheit stamme dorther,

Sei ein Erbteil schnöder Christen.

Da lob ich mein erstes Weib,

Zu Esther.

Deine Mutter, brav wie du,

Wenn auch arm. Was nützte mir

Auch der Reichtum jener zweiten?

Hat sie nicht damit geschaltet,

Schmaus und Gastgebot gehalten,

Schmuck gekauft und Edelstein?

Schau! sie ist wohl ihre Tochter!

Hat sie sich nicht rings behangen,

Prangt sie nicht in stolzen Kleidern,

Als ein Babel anzusehn?

RAHEL singend.

Bin ich nicht schön,

Bin ich nicht reich?

Und sie ärgern sich,

Und mich kümmerts nicht. La la la la.

ISAAK.

So geht sie auf reichen Schuhen;

Nützt sie ab, frägt nichts darnach,

Jeder Schritt gilt einen Dreier.

Hat im Ohr ihr reich Geschmeide,

Kommt ein Dieb und nimmt ihrs ab,

Fällts in Busch, wer findets wieder?

RAHEL ein Ohrgehänge abnehmend.

Sieh, so schraub ichs los und halt es.

Wie das blitzt und wie das flimmert!

Und doch acht ichs so geringe,

Wenn mirs einfällt, schenk ichs dir,

Zu Esther.

Oder werf es von mir. Sieh!

Sie macht mit der Hand eine fortschleudernde Bewegung.

ISAAK nach der Richtung des Wurfes laufend.

Weh, o weh! Wo flog es hin?

Weh, o weh! Wie find ichs wieder?

Er sucht im Gesträuche.

ESTHER.

Ei, was kommt dich an? Das Kleinod –

RAHEL.

Glaubst du denn, ich sei so töricht

Und verschleuderte das Gut?

Sieh! ich habs, halts in der Hand,

Häng es wieder in mein Ohr,

Weiß und klein, zum Schmuck der Wange.

ISAAK suchend.

Weh! Verloren!

RAHEL.

Vater, kommt nur!

Seht, das Kleinod ist gefunden.

's war ja Spaß nur.

ISAAK.

Daß dich Gott –!

So zu spaßen! Und nun komm!

RAHEL.

Vater, jedes, nur nicht dies.

Ich muß mal den König sehen

Und er mich, ja, ja, er mich.

Wenn er kommt und wenn er fragt:

Wer ist dort die schöne Jüdin?

Sag, wie heißt du? – Rahel, Herr!

Isaaks Rahel! sprech ich dann.

Und er kneipt mich in die Backen.

Heiße dann die schöne Rahel.

Mag der Neid darob zerplatzen.

Wenn sies ärgert, kümmerts mich?

ESTHER.

Vater!

ISAAK.

Wie?

ESTHER.

Dort naht der Haufen.

ISAAK.

Herr des Lebens! was geschieht mir?

's ist Rehabeam und sein Volk.

Wirst du gehen?

RAHEL.

Vater, hört doch!

ISAAK.

Nun, so bleibe. Esther, komm!

Lassen wir allein die Törin.

Mag der Unrein-Händge kommen,

Sie berühren, mag sie töten!

Hat sies selber doch gewollt.

Esther, komm!

RAHEL.

Je, Vater, bleibt!

ISAAK.

Immer zu! Komm, Esther, komm!

Er geht.

RAHEL.

Ich will nicht allein sein! Hört ihr?

Bleibt! – Sie gehn. – O weh mir, weh!

Ich will nicht allein sein! Hört ihr?

Ach, sie kommen. – Schwester! Vater!

Eilt ihnen nach.

Der König, die Königin, Manrique de Lara und Gefolge kommen.

KÖNIG im Auftreten.

Laßt näher nur das Volk! es stört mich nicht.

Denn wer mich einen König nennt, bezeichnet

Als Höchsten unter vielen mich, und Menschen

Sind so ein Teil von meinem eignen Selbst.

Zur Königin gewendet.

Und du, kein mindrer Teil von meinem Wesen,

Willkommen mir in dieser treuen Stadt,

Willkommen in Toledos alten Mauern.

Sieh rings um dich und höher poch dein Herz.

Denk nur, du stehst an meines Geistes Wiege.

Hier ist kein Platz, kein Haus, kein Stein, kein Baum,

Der Denkmal nicht von meiner Kindheit Lose.

Als ich vor meines bösen Oheims Wüten,

Des Königs von Leon, ein vaterloser,

Der Mutter früher schon beraubter Knabe,

Durch Feindes Land, es war mein eignes, floh

Und mich von Stadt zu Stadt Kastiliens Bürger

Wie Hehler eines Diebstahls heimlich führten,

Weil Tod bedräute Wirt zugleich und Gast,

Und übrall nun umstellt war meine Spur,

Da brachten mich die Männer, Don Estevan

Illan, den längst der Rasen birgt des kühlen Grabs,

Und dieser Mann, Manrique Graf von Lara,

Hieher, dem Hauptsitz von der Feinde Macht,

Und bargen mich im Turm von Sankt Roman,

Den du dort siehst hoch ob den Häusern ragen.

Dort lag ich still, sie aber streuten aus

Den Samen des Gerüchts ins Ohr der Bürger.

Und als am Tage Himmelfahrt die Menge

Versammelt war vor jenes Tempels Pforte,

Da führten sie mich auf des Turmes Erker

Und zeigten mich dem Volk und schrien hinab:

Hier mitten unter euch, hier euer König,

Der Erbe alter Fürsten, ihres Rechts

Und eurer Rechte williger Beschirmer.

Ich war ein Kind und weinte, sagten sie.

Noch aber hör ich ihn, den gellen Aufschrei,

Ein einzig Wort aus tausend bärtgen Kehlen,

Und tausend Schwerter wie in einer Hand,

Der Hand des Volks. Gott aber gab den Sieg,

Die Leonesen flohn; und fort und fort.

Ich selber, Fahne mehr als Krieger noch,

Inmitten eines Heers, durchzog das Land,

Erfechtend mit des Mundes Lächeln Siege.

Sie aber lehrten mich und pflegten mein,

Und Muttermilch floß mir aus ihren Wunden.

Deshalb, wenn andre Fürsten Väter heißen

Des eignen Volks, nenn ich mich seinen Sohn,

Denn was ich bin, verdank ich ihrer Treue.

MANRIQUE.

Wenn alles, was ihr seid, vieledler Herr,

[Nur unsres Beispiels, unsrer Worte Frucht,]

Dann nehmen wir den Dank und sind des froh.

Wenn unsre Lehren, unsre Pflege sich

In so viel Ruhm, in so viel Taten spiegeln,

Dann ist der Dank so ein als andre Pflicht.

Zur Königin.

Seht ihn nur an mit euerm holden Blick.

Denn so viel Könge noch in Spanien waren,

Vergleicht sich keiner ihm an hohem Sinn.

Das Alter ist wohl tadelsüchtig sonst,

Auch ich bin alt und tadle gern und viel,

Und oft hab ich, im Rat mit meiner Meinung,

Besiegt von seinem fürstlich hohen Wort,

Geheim erbost – heißt das, auf kurze Zeit –

Bös Zeugnis aufgesucht gen meinen Herrn,

Ihn eines Fehls, weiß Gott wie gerne, zeihend,

Doch immer kehrt ich tief beschämt zurück,

Mir blieb der Neid, und er war fleckenlos.

KÖNIG.

Ei, ei! der Lehrer auch ein Schmeichler, Lara?

Doch wollen wir nicht dies und das bestreiten.

Bin ich nicht schlimm, so besser denn für euch.

Obgleich der Mensch, der wirklich ohne Fehler,

Auch ohne Vorzug wäre, fürcht ich fast.

Denn wie der Baum mit lichtentfernten Wurzeln

Die etwa trübe Nahrung saugt tief aus dem Boden,

So scheint der Stamm, der Weisheit wird genannt

Und der dem Himmel eignet mit den Ästen,

Kraft und Bestehn aus trübem Irdischen,

Dem Fehler nah Verwandten aufzusaugen.

War einer je gerecht, der niemals hart?

Und der da mild, ist selten ohne Schwäche.

Der Tapfre wird zum Waghals in der Schlacht.

Besiegter Fehl ist all des Menschen Tugend,

Und wo kein Kampf, da ist auch keine Macht.

Mir selber ließ man nicht zu fehlen Zeit.

Als Knabe schon den Helm auf schwachem Haupt,

Als Jüngling mit der Lanze hoch zu Roß,

Das Aug gekehrt auf eines Gegners Dräun,

Blieb mir kein Blick für dieses Lebens Güter,

Und was da reizt und lockt, lag fern und fremd.

Daß Weiber es auch gibt, erfuhr ich erst,

Als man mein Weib mir in der Kirche traute,

Die wirklich ohne Fehl, wenn irgend jemand,

Und die ich, grad heraus, noch wärmer liebte,

Wär manchmal, statt des Lobs, auch etwas zu verzeihn.

Zur Königin.

Nu, nu, erschrick nur nicht, wars doch nur Scherz!

Doch soll den Tag man nicht vor Abend loben

Und malen nicht den Teufel an die Wand.

Nun aber, statt zu rechten, laß die Zeit,

Die kurzgegönnte, uns der Ruh genießen.

Die Fehden inner Landes sind gedämpft,

Doch rüstet sich, sagt man, der Maure neu

Und hofft aus Afrika verwandte Hilfe,

Ben Jussuff und sein streitgewohntes Heer.

Da gibts denn neuen Krieg und neue Plage.

Bis dahin öffnen wir die Brust dem Frieden

Und atmen ein die ungewohnte Luft.

Ist keine Nachricht da? – Allein, vergaß ichs?

Du siehst ja nicht um dich her, Leonore,

Und schaust, was wir geschaffen, dir zur Lust?

KÖNIGIN.

Was soll ich sehn?

KÖNIG.

O weh doch, Almirante,

Wir habens nicht getroffen, ob bemüht.

Da graben wir nun tag- und wochenlang

Und hofften diesen Garten umzustalten,

Der nur Orangen trägt und Schatten gibt,

In einen, wie sie England hegt und liebt,

Das strenge Vaterland hier meiner Strengen.

Allein sie lächelt, schüttelt still das Haupt. –

So sind sie nun, Britanniens Kinder, alle.

Trifft man aufs Haar nicht den gewohnten Brauch,

So weisen sies zurück und lächeln vornehm.

Die Meinung mindestens war gut, Lenore,

Und so gib nur ein Wort des Danks den Männern,

Die sich für uns, weiß Gott wie lang, bemüht.

KÖNIGIN.

Ich dank euch, edle Herrn!

KÖNIG.

Nun zu was anderm!

Der Tag hat einen Riß. Ich hoffte, dir

An Hütten, Wiesen, englischen Geschmacks

Noch das und dies im Garten rings zu zeigen,

Doch ists verfehlt. Verstell dich nicht, o Liebe!

Es ist so, denken wir nicht mehr daran! –

Da bleibt ein Stündchen denn für das Geschäft,

Eh spanscher Wein uns Spaniens Küche würzt.

Ist noch kein Bote von der Grenze da?

Toledo haben wir mit Fleiß ersehn,

Um nah zu sein der Kundschaft von dem Feinde,

Und doch kein Bote?

MANRIQUE.

Herr –

KÖNIG.

Was ist? Wie nur?

MANRIQUE.

Ein Bote kam.

KÖNIG.

Nun denn!

MANRIQUE auf die Königin zeigend.

Ein wenig später.

KÖNIG.

Mein Weib, sie ist gewohnt an Rat und Krieg.

Die Königin teilt jedes mit dem König.

MANRIQUE.

Doch dürfte mehr noch als die Botschaft etwa

Der Bote selber –

KÖNIG.

Und wer ists?

MANRIQUE.

Mein Sohn.

KÖNIG.

Ah, Garceran! Laß ihn nur kommen!

Zur Königin.

Bleib!

Der junge Mann hat höchlich wohl gefehlt,

Als er verkleidet schlich ins Fraungemach,

Die Holde seines Herzens zu erspähn.

Nu, Doña Klara, senkt nur nicht das Haupt,

Der Mann ist wacker, obgleich jung und rasch,

Gespiele mir aus meiner Knabenzeit,

Und unversöhnlich sein wär etwa schlimmer,

Als leichtgesinnt den Fehler übersehn.

Auch, denk ich, hat er reichlich abgebüßt,

Seit Monden schon verbannt zur fernen Grenze.

Auf einen Wink der Königin entfernt sich ein Fraülein ihres Gefolges.

Nun geht sie doch! O Sittsamkeit,

Noch sittlicher als Sitte.

Garceran kommt.

KÖNIG.

Ah, mein Freund!

Wie stehts bei euch? Sind alle dort so bang

Wie du und also mädchenhafter Scheu?

Dann steht es schlimm um unsrer Reiche Schutz.

GARCERAN.

Ein wackrer Mann, Herr, fürchtet keinen Feind,

Doch schwer drückt edler Fraun gerechter Zorn.

KÖNIG.

Gerechter Zorn, ja wohl! und glaube nicht,

Daß ich mit Brauch und Schick es minder streng

Und minder ernstlich halt als meine Frau.

Doch hat der Zorn und alles seine Grenze.

Drum nochmal, Garceran, wie stehts bei euch?

Macht euch der Feind, ob Frieden gleich, zu schaffen?

GARCERAN.

Wir schlugen uns, als wärs im Scheingefecht,

Mit blutgen Wunden diesseits, Herr, und drüben.

Der Friede glich dem Krieg so auf ein Haar,

Daß nur im Treubruch aller Unterschied.

Seit kurzer Zeit jedoch hält Ruh der Gegner.

KÖNIG.

Ei das ist schlimm!

GARCERAN.

Wir denkens auch und glauben,

Er rüste sich für einen größern Schlag.

Auch heißts, daß Schiffe täglich Volk und Vorrat

Aus Afrika nach Cadix überführen,

Wo heimlich sich vereint ein stattlich Heer,

Zu dem der neue Herrscher von Marokko, Jussuff,

Soll stoßen mit dem dort geworbnen Volk,

Dann käme wohl der Schlag, der uns bedroht.

KÖNIG.

Nun, schlagen sie, so schlagen wir denn wieder.

Wie sie ein König, führt der eure euch,

Und ist ein Gott, wie er denn wirklich ist,

Und Recht der Ausspruch seines Munds, so hoff ich

Zu siegen, weil im Recht, und weil ein Gott.

Mich dauert nur des Landmanns bittre Not.

Ich selbst, als Höchster, ich bin da zum Schwersten.

Laßt in den Kirchen sich das Volk versammeln

Und flehen zu dem Herrn, der Siege gibt,

Die Heiligtümer seien ausgestellt

Und jeder bete, der da künftig streitet.

GARCERAN.

Schon ohne Aufruf ward dein Wort erfüllt.

Die Glocken tönen weithin an den Grenzen,

Und in den Tempeln sammelt sich das Volk.

Nur daß ihr Eifer, irrend, wie so oft,

Sich gegen jene Andersgläubgen wendet,

Die Handel und Gewinn im Land zerstreut.

Schon ward ein Jude hier und da mißhandelt.

KÖNIG.

Und ihr, ihr duldets? Nun, beim großen Gott,

Wer sich mir anvertraut, den will ich schützen.

Ihr Glaube kümmert sie, mich, was sie tun.

GARCERAN.

Man nennt sie Späher in der Mauren Sold.

KÖNIG.

Niemand verrät zuletzt, was er nicht weiß.

Und da ich ihren Mammon stets verachtet,

Hab nie auch noch begehrt ich ihren Rat.

Was sein wird, weiß nur ich, nicht Christ noch Jude.

Deshalb nun sag ich euch bei eurem Kopf –

EINE WEIBERSTIMME von außen.

Weh uns!

KÖNIG.

Was ist?

GARCERAN.

Dort, Herr, ein alter Mann,

Ein Jude scheints, verfolgt von Gartenknechten.

Zwei Mädchen neben ihm. Die eine, schau!

Sie flieht hierher.

KÖNIG.

Ganz recht, denn hier ist Schutz,

Und Gottes Donner, wer ein Haar ihr krümmt.

In die Szene rufend.

Hierher, nur hier!

Rahel kommt fliehend.

RAHEL.

O weh, sie töten mich,

Wie dort den Vater! Ist denn nirgends Hilfe?

Sie erblickt die Königin und kniet vor ihr.

O hohes Frauenbild, beschirme mich.

Streck aus die Hand und schütze deine Magd.

Ich will dir dienen auch, nicht Jüdin, Sklavin.

Sie greift nach den Händen der Königin, die sich von ihr abwendet.

RAHEL aufstehend.

Auch hier nicht Rettung, übrall Angst und Tod.

Wohin nur flieh ich?

Ah, hier steht ein Mann

Mit Mondscheinaugen, strahlend Trost und Kühlung,

Und alles um ihn her heißt Majestät.

Du kannst mich schützen, Herr, ach, und du wirsts.

Ich will nicht sterben, will nicht! Nein, nein, nein!

Sie wirft sich vor dem Könige nieder, seinen rechten Fuß umklammernd, das Haupt zu Boden gesenkt.

KÖNIG zu einigen, die sich nähern.

Laßt sie! Der Schreck beraubt sie fast der Sinne,

Und wie sie schaudert, schütternd mich mit sich.

RAHEL emporgerichtet.

Und alles, was ich habe,

Ihr Armband ablösend.

Diese Spangen,

Das Halsgeschmeid und dann dies teure Tuch,

Ein Tuch ablösend, das sie schalartig um den Hals geschlungen trägt.

Der Vater hats gekauft um vierzig Pfund,

Echt indisches Geweb, ich geb es hin.

Nur laßt mein Leben mir, ich will nicht sterben!

Sinkt in ihre vorige Stellung zurück.

Man hat Isaak und Esther gebracht.

KÖNIG.

Was hat der Mann verbrochen?

MANRIQUE da alle schweigen.

Herr, du weißt,

Verboten ist der Eintritt diesem Volk

In Königs Garten, wenn der Hof zur Stelle.

KÖNIG.

Nun, wenns verboten, so erlaub ichs denn.

ESTHER.

Er ist kein Späher, Herr, ein Handelsmann,

Die Briefe, die er führt, sie sind hebräisch,

Und nicht arabisch, nicht in Maurensprache.

KÖNIG.

Ich glaubs, ich glaubs!

Auf Rahel zeigend.

Und diese?

ESTHER.

Meine Schwester!

KÖNIG.

So nimm sie denn und bring sie fort.

RAHEL da Esther sich ihr nähert.

Nein, nein!

Sie fassen mich, sie führen mich hinaus

Und töten mich!

Auf den abgelegten Schmuck zeigend.

Hier ist mein Lösegeld!

Hier will ich bleiben und will leichter atmen.

Die Wange an des Königs Knie gelegt.

Hier ist die Sicherheit, hier ruht sichs gut.

KÖNIGIN.

Wollt ihr nicht gehn?

KÖNIG.

Ihr seht, ich bin gefangen!

KÖNIGIN.

Seid ihr gefangen, bin ich frei. Ich gehe.

Mit ihren Frauen ab.

KÖNIG.

Nun noch auch das! Mit ihrem Züchtigtun

Erschaffen sie, was sie entfernen möchten.

Zu Rahel, streng.

Ich sage dir, steh auf! – Gib ihr ihr Tuch

Und laß sie gehn.

RAHEL.

O Herr, nur noch ein Weilchen-

Die Glieder sind gelähmt – ich kann nicht schreiten.

Den Ellbogen aufs Knie und den Kopf in die Hand gestützt.

KÖNIG zurücktretend.

Und ist sie immer denn so schreckhaft?

ESTHER.

O nicht doch!

Sie war vor kurzem übermütig noch

Und trotzte, wollte, Herr, dich sehen.

KÖNIG.

Mich?

Sie hat es schwer bezahlt.

ESTHER.

Auch sonst zu Hause

Treibt sie nur Possen, spielt mit Mensch und Hund

Und macht uns lachen, wenn wir noch so ernst.

KÖNIG.

So wollt ich denn, sie wäre eine Christin

Und hier am Hof, wo Langeweil genug.

Ein bißchen Scherz käm etwa uns zustatten.

He, Garceran!

GARCERAN.

Erlauchter Herr und König.

ESTHER mit Rahel beschäftigt.

Steh auf! steh auf!

RAHEL sich emporhebend und Esther den Halsschmuck abnehmend, den sie zu dem übrigen legt.

Und gib nur, was du hast.

Es ist mein Lösegeld.

ESTHER.

Es sei denn also.

KÖNIG.

Was dünkt dir von dem allen?

GARCERAN.

Mir, o Herr?

KÖNIG.

Verstell dich nicht! du bist ein feiner Kenner.

Ich selbst hab nie nach Weibern viel gesehn,

Doch diese scheint mir schön.

GARCERAN.

Sie ists, o Herr!

KÖNIG.

So sei denn stark, denn du sollst sie geleiten.

RAHEL die in der Mitte der Bühne mit gebrochenen Knieen und gesenktem Haupte steht, den Ärmel aufstreifend.

Leg mir das Armband an. – O weh, du drückst mich.

Den Halsschmuck auch – Zwar der hängt ja noch hier.

Das Tuch behalt, mir ist so schwer und schwül.

KÖNIG.

Bring sie nach Haus!

GARCERAN.

Doch, Herr, ich fürchte.

KÖNIG.

Was?

GARCERAN.

Das Volk ist aufgeregt –

KÖNIG.

Du hast nicht unrecht.

Obwohl ein Wort des Königs Schutz genug,

Ists besser doch, zu meiden jeden Anlaß.

ESTHER Rahel das Kleid am Halse zurechtrichtend.

Und wie das Kleid verschoben und zerstört.

KÖNIG.

Bring sie vorerst nach einem der Kioske,

Die rings im Garten stehn, und kommt der Abend –

GARCERAN.

Ich höre, hoher Herr!

KÖNIG.

Wir nur? Ja so!

Seid ihr nicht fertig noch?

ESTHER.

Wir sinds, o Herr.

KÖNIG.

Und ist es Abend und das Volk verlaufen,

So führe sie nach Haus, und somit gut.

GARCERAN.

Komm, schöne Heidin!

KÖNIG.

Heidin! welche Possen!

ESTHER zu Rahel, die sich zum Fortgehen anschickt.

Und dankst du nicht dem Herrn für so viel Huld?

RAHEL noch immer erschöpft, sich gegen den König wendend.

Hab Dank, o Herr, für deinen mächtgen Schutz!

O, daß ich nicht ein ärmlich Wesen wäre,

Mit einer Bewegung der Hand über den Hals.

Daß dieser Hals, gekürzt von Henkershand,

Daß diese Brust ein Schild gen deinen Feind –

Zwar das begehrst du nicht.

KÖNIG.

Ein hübscher Schild!

Somit denn geht mit Gott. Und – Garceran

Leiser.

Ich wünschte nicht, daß diese hier mein Schützling

Durch irgendwie zudringlich kühne Possen

Beleidigt? ja gestört –

RAHEL die Hand an die Stirne gelegt.

Ich kann nicht gehn.

KÖNIG da ihr Garceran den Arm bieten will.

Wozu den Arm? Laß sie die Schwester führen.

Du, alter Mann, bewahre deine Tochter.

Die Welt ist arg, so hüte deinen Schatz.

Rahel und die Ihrigen, von Garceran begleitet, ab.

KÖNIG ihnen nachsehend.

Sie wankt noch immer. All ihr ganzes Wesen

Ein Meer von Angst in stets erneuten Wellen.

Mit dem Fuß auftretend.

Hielt sie den Fuß mir doch so eng umklammert,

Daß er fast schmerzt. – Im Grunde wunderlich.

Ein feiger Mann, er wird mit Recht verachtet,

Und dies Geschlecht ist stark erst, wenn es schwach.

Ah, Almirante, was sagt ihr dazu?

MANRIQUE.

Ich denke, hoher Herr, daß meinen Sohn

Ihr eben jetzt so fein als streng bestraft.

KÖNIG.

Bestraft?

MANRIQUE.

Als Hüter ihn bestellend diesem Pöbel.

KÖNIG.

Die Strafe, Freund, ist, denk ich, nicht so hart.

Ich selbst hab nie nach Weibern viel gefragt,

Auf das Gefolge zeigend.

Doch diese Herrn sind etwa andrer Meinung.

Nun aber fort mit diesen wirren Bildern!

Laßt uns zur Tafel, mich verlangt nach Stärkung,

Und bei dem ersten Trunk am festlich frohen Tag

Gedenk ein jeder des – woran er denken mag.

Hier ist kein Rang! Nur zu! Voraus! Voran!

Indem die Hofleute sich zu beiden Seiten ordnen und der König mitten durch sie abgeht, fällt der Vorhang.

Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 2, München [1960–1965], S. 451-464

Der Text ist entweder gemeinfrei oder wurde vom Autor/Verlag zur Verfügung gestellt.Bei rechtlichen Bedenken melden Sie sich bitte beim Team von Kritikatur.


Ausgaben


nicht mehr lieferbar
Die Jüdin von Toledo
Die Jüdin von Toledo
(Franz Grillparzer)
Reclam-Verlag, 1986, 80 S., 9783150043943
3,60 €




Linktipp: »12. Jahrhundert« als Zeit haben auch