Literarisches Werk




Übersicht


Originalsprache : Deutsch
Lyrisch Form : Elegie

Kurzbeschreibung


»Auf silikonweichen Pfoten« ist ein Gedicht von Francisca Ricinski. 2006 wurde das literarische Werk zuerst veröffentlicht.

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Häutungsprozesse
Bestechend in ihrer Andersartigkeit und von hohem ästhetischem Reiz sind die kurzen Geschichten und poetischen Splitter in dem Band »Auf silikonweichen Pfoten«. Erzählungsbände fordern vom Leser mehr Konzentration als Romane: immer neue Namen, immer neue Konflikte. Auf den ersten Blick wirken diese Texte wie kleine Knäuel. Die Gedanken und Sätze laufen hier in verschiedene Richtungen, scheinen weder Anfang noch Ende zu haben. Das alles ist mehr als erträglich, weil Francisca Ricinski dafür eine Sprache hat, die sich auf nichts ausschließlich einlässt, sondern immer mit Augenzwinkern erzählt. Bisweilen machen ihre Sätze Faxen, springen von hier nach dort, wieder zurück und auch mal absichtsvoll daneben. Über feine Wortschleifen und Bedeutungsverschiebungen verschlingt diese Rede sich immerzu neu – und läuft doch voran. Ein wundersames Buch. Und sehr anders. Handlung gibt es fast keine, dafür handelt es von umso gewichtigeren Dingen, vom Leben zum Beispiel und vom Tod und den Toten und davon, was das alles miteinander zu tun hat. Über alldem und um all das herum bilden Humor und Traurigkeit eine Dichotomie, die das Ganze auch da, wo es wirklich ernst ist – und wahrscheinlich ist es das fast das ganze Buch über –, nicht ins Bierernste kippen lässt. Ihre Prosa ist raffiniert genug, seine Form nicht einfach zu behaupten, sondern auch zu zeigen, was sie überwinden will. Ihre Sätze wirken wie kleine Maiskörner, um die herum immer mehr Wörter, Wortgruppen und Nebensätze gepackt werden, bis sie zu großartigem, buttrig–salzigem Popcorn explodieren. Der Autorin verschafft dies die Möglichkeit, Vorlieben und Obsessionen auf verschiedene Weisen zu umkreisen. Unter lauter Metaphern verschwindet zuweilen der Kern. Und zum Kern ihres ureigenen Kosmos findet Francisca Ricinski zurück durch Besinnung – auf sich selbst. Der Band ist zudem klug zusammengestellt, und dies fügt die Komposition den Geschichten einen doppelten Boden hinzu. Locker rollt Francisca Ricinski ihre Gedanken auf, von Absatz zu Absatz, von Text zu Text. Und immer kunstvoller variiert sie dabei die Sätze. Für Momente bringt die Sprechende ihre Sätze ins Gleichgewicht, um sie flugs wieder zu verschieben und neu auszurichten. Ihre Themen – die Liebe, das Erotische, das Versöhnliche – scheinen nur noch ex negativo als etwas schmerzlich Abwesendes beschreibbar. Wer ihren besonderen Ton schätzt, jene Mischung aus Märchenanklängen, sprachschöpferischem Furor, gepflegter Schnoddrigkeit und etwas manierierter Erdenschwere, der wird mit den silikonweichen Pfoten erstklassig bedient. Durchgehend erweist sie sich als Meisterin des zwar nicht düsteren, aber doch gedrückten Tons. Eines Stils, der traurig, aber niemals sentimental ist. In der vermeintlichen Nähe zeigt sich zugleich die Ferne. Gegen Ende wird der Ton dieser Kurzgeschichten ambivalent: Härte, gedämpft durch Sentimentalität; Grobheiten mit einer Beimischung von Herzensgüte. Dem Spiegelkabinett können wir bei Francisca Ricinski nicht entrinnen. Das es ist der Kern ihres Denkens: Versöhnung von sich ausschließenden Kräften, sie zeigt, daß die Seele mit der Zauberkraft der Kunst und der Phantasie überleben kann.

Sie krampft sich nichts ab, eher schüttelt sie ein paar Zeilen aus dem Ärmel. Francisca Ricinski richtet den performativen Blick auf die Endlichkeit des Lebens, sie bietet dessen Eitelkeiten als ein oft karnevaleskes, immer jedoch als theatralisches Proszenium dar. Was sich von selbst versteht, muß nicht eigens verstanden werden. Das ist praktisch. Es ist die Praxis des alltäglichen Zusammenlebens. Andererseits schwebt das Selbstverständliche darum stets in der Gefahr, unverstanden zu bleiben. In solcher Gefahr ist diese Prosa in ihrem Element. Sie sucht das Unverstandene und Unselbstverständliche im Selbstverständlichen auf, um das Selbstverständliche besser zu verstehen. Es ist nie auszuschliessen, daß sie dabei Befremden erzeugt.

Francisca Ricinski stellt die alten Grundfragen, daran, was Poesie will: Als Ethik des unbedingten Sollens ignoriert sie die Eingebundenheit der einzelnen Subjekte in die sozialen Verhältnisse und konfrontiert sie mit idealen Forderungen, deren grundsätzliche Erfüllbarkeit sie einfach voraussetzt. Als Ethik des guten Lebens ignoriert sie die Frage des einzelnen, was für einer er sein will, indem sie ihn mit dem allgemeinen Begriff einer vernünftigen Lebensform abspeist. Francisca Ricinskis Handschrift ist eine Kennung, ein Ausweis, ein Biorhythmus. Deshalb frei nach Walter Benjamin: Man möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen – bevor es andere tun. Ein Stoßseufzer post festum, sicherlich. Dennoch möge er gehört werden.



Kurzkritiken


     
anspruchsvoll, bereichernd



Linktipp: »Gedicht« als Literaturgattung haben auch