Tucholskys Reise durch die Pyrenäen 1925 fand mit Mary Gerold statt – davon findet sich auf all den 250 Seiten kein Wort; man denkt, der Pseudonym-Tausendsassa sei allein unterwegs gewesen. Etwas verkrampft liest sich dieser Bericht dann auch, der aber trotz allem locker-heiter und (wie immer) scharfsinnig erzählt ist: ein professionelles Buch also. Der Reisende beschreibt darin in 25 Kapiteln seine Eindrücke, die von kulinarischen, künstlerischen, menschlichen und topografischen Begegnungen bis hin zu Stellungnahmen über die Weimarer Republik und persönlich-philosophischen Selbstreflexionen reichen, welche – für mich überraschend – streckenweise sogar von der Gottesfrage begleitet werden. Stilistisch ist es eines der prosaischsten Texte Tucholskys („Der Stier stürzt sich auf das rote Tuch wie ein Stier auf das rote Tuch“) und auch eines der intertextuellsten: Jedem Ort, den er besucht und jedem Ereignis, dem er beiwohnt, liegt eine ausführliche Rechercheleistung zugrunde, deren Ergebnis dann auch – teilweise über Seiten – mitgeteilt und kommentiert wird. Damit gelingen Tucholsky collageartige Einblicke mit gesellschaftskritischem Touch, etwa wenn er zu Beginn des Berichts die Schilderung eines Stierkampfes mit Schopenhauers Darlegungen zum Mensch-Tier-Verhältnis in Verbindung setz. Das „Highlight“ findet sich im neunten Kapitel – einer ausführlichen Beschreibung der Praktiken am Wallfahrtsort Lourdes: Hier soll sich im 19. Jahrhundert ein Wunder (Marienerscheinung) ereignet haben und in gekonnter Art („Weltbühnen“-Niveau) beschreibt Tucholsky konternt das – eigentlich – Offensichtliche: Er re-konstruiert die scheinbare Genese des Wunders, entlarvt das katholische Tourismusgeschäft, konstatiert nüchtern, wie unhygienisch die sog. „Heilbäder“ sind und behandelt das Phänomen der Messe mit soziologischem Scharfsinn: „Lourdes ist lediglich ein Phänomen der Massen-Suggestion“ (diese These wird dann im wissenschaftlichsten Sinn auch ausführlich bewiesen). Über die Pyrenäen an sich schließlich erfährt man recht wenig (wer z.B. die Schilderung von landschaftlichen Panoramen erwartet, wird von Tucholsky aufs 19. Jahrhundert verwiesen). Umso mehr kann das „Pyrenäenbuch“ aber mit Spezialbetrachtungen und – gezielten – Abschweifungen aufwarten, die vor allem durch ihre aphoristische Schärfe beeindrucken.