"Glanz und Elend der Kurtisanen“ könnte man als den Folgeroman der „Verlorenen Illusionen“ mit zum Teil namentlich gleichen Protagonisten bezeichnen. Vor allem Lucien Chardon, der nun den Namen seiner Mutter „de Rubempré“ annimmt, und sein ihm vom Schicksal bestimmter väterlicher Freund, der spanische Abbé Carlos Herrera, alias Jacques Collin, ein aus dem Bagno geflohener Sträfling, der ihn im letzten Moment davon abgehalten hatte, Selbstmord zu begehen, bilden die Klammer. Lediglich die junge Kurtisane Ester, die an die Stelle von Luciens Geliebter seines ersten Parisaufenthaltes, der Schauspielerin Coralie, getreten ist, findet sich neu in diesem Trio.
Der Sträfling Collin begegnet dem Leser aber auch in dem rd. zehn Jahre früher spielenden Roman Balzacs „Vater Goriot“, in dem er im Hause der Pensionswirtin Vauquer als falscher Handelsvertreter namens Vautrin auftaucht, der auch hier für seine Zwecke auf einen jungen Studenten aus der Provence (Eugène de Rastignac) Einfluss zu nehmen versucht. Weitere Vergleiche ergeben sich in der Person des Bankiers Baron Nucingen, der Ester zu seiner Mätresse macht, während er im „Vater Goriot“, den reichen Vater der jüngeren Tochter Delphine spielt, auf deren Heirat mit Eugène Rastignac es der Gangster Collin abgesehen hatte, die aber dort, ebenso wie nun die Einheirat Luciens in das Haus Grandlieu, nicht zustande kam. Bezieht man „Vater Goriot“ unter Vernachlässigung der nicht absoluten Figurenidentität in das Personengeflecht mit ein, so könnte man aus allen drei Romanen eine Trilogie konstruieren.

Vor allem in diesem Werk, wie ansatzweise schon in den beiden anderen genannten Romanen, schildert Balzac in sehr ins Detail gehender, geradezu ziselierender Art und Weise die gesellschaftlichen Verhältnisse Frankreichs im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Die unerschöpfliche, kaum in den Griff zu bekommende Anzahl der auftretenden Personen, von denen die wichtigsten aber gekonnte charakterisiert werden, sowie die über die Länge des Romans ermüdend wirkenden, teilweise allzu ausschweifenden Schilderungen einzelner Situationen und Wirkungsstätten lassen die Handlung streckenweise etwas unübersichtlich erscheinen. Das Bild wird jedoch durch die Handlung als solche, durch die Selbstmorde Esters und Luciens, der seinem Schicksal nicht entkommen kann, und dadurch, dass auch Herrera, alias Collin und vormals Vautrin von der Polizei erkannt wird, ersichtlich abgerundet.
Für den Leser überraschend gestaltet sich das Ende des Romans dadurch, dass Jaques Collin gewissermassen die Seiten wechselt, als er in erpresserischer Manier die von ihm beiseite geschafften, an Lucien adressierten Liebesbriefe der Damen aus den höchsten Gesellschaftskreisen gegen die anstehende Hinrichtung eines jungen Mithäftlings und auch seine eigene Begnadigung eintauscht und er sogar auf Seiten der Justiz eine berufliche Bleibe erhält.