Traum und Wahrheit
MORD IN BARCELONA mag zwar ein zutreffender Titel für diesen Thriller von Frankreich's Hitchcock Jacques Deray (DER SWIMMINGPOOL, 1969) sein, leider vereinfacht er die Geschichte des überaus komplexen Werkes beträchtlich. Der Film ist alles andere als ein schlichter Kriminalfilm und weißt eher schon Züge eines kafkaesken Psychothrillers auf, dessen verstörende Handlung sich durchaus mit Paranoia-Polit-Thrillern der Sechziger und Siebziger Jahre wie Z (Constantin Costa-Gavras, 1969) mit Yves Montand oder ZEUGE EINER VERSCHWÖRUNG (The Parallax View, Alan J. Pakula 1974) mit Warren Beatty messen kann. Allerdings völlig ohne politische Bezüge, was die Geschichte nur noch bedrohlicher erscheinen lässt, ist doch so komplett unklar ob die Gefahr politisch motiviert, rein kriminell organisiert oder sogar mitten aus der Gesellschaft heraus entsteht. Deray bedient sich hier ganz Hitchcock-like eines so einfachen wie effektiven Tricks, nämlich den des MacGuffin, eines handlungsfördernden Elements, welches nur diese Funktion erfüllt. Hier ist es ein schwarzer Koffer hinter dem alle Parteien her sind. Ein Koffer wie er später nochmal z.B. in PULP FICTION (Quentin Tarantino, 1994) und in RONIN (John Frankenheimer, 1998) die gleiche Verwendung fand und wo niemals jemand erfahren sollte, was sich darin befand. Doch während beim Master of Suspense stets die Faustregel galt, das die Spannung daraus geschöpft wird, das der Filmzuschauer immer über alle Prozesse informiert ist, macht Jacques Deray genau das Gegenteil. Das Publikum weiß genauso wenig, wie der von Lino Ventura auf der Höhe seiner Kunst gespielte Roland Fériaud, dem bis zum Schluß nicht klar wird, in was er da hinein geraten ist. Deray macht hierbei keinerlei Zugeständnisse an den Zuschauer und dreht seine Spirale bis zum bitteren Ende, welches einen ebenso fassungslos wie desorientiert zurücklässt, wie es die Hauptfigur den gesamten Film über ist. Das Spiel mit Traum und Wirklichkeit geht perfekt auf und stellt einmal mehr die Frage, ob man sich der eigenen Identität sicher sein kann, wenn man zum fremdgesteuerten Spielball mächtiger Interessen wird. Mehr als einmal zweifelt Fériaud im Laufe des Filmes an seinem Verstand und eindeutige Klarheit bleibt ihm vollends verwehrt. Ähnliche Motive griff Christopher Nolan in MEMENTO (2000) und noch einmal in INCEPTION (2010) auf. MORD IN BARCELONA ist da natürlich wesentlich bodenständiger und realistischer. Aber gerade deshalb auch wirkungsvoller. DER SCHMETTERLING AUF DER SCHULTER, wie der übersetzte Originaltitel des Filmes lautet, ist sicher keine leichte Krimikost, sondern ein Film auf den man sich einlassen muss, aber gleichzeitig perfekt inszeniertes Spannungskino aus Frankreich, wie es heute selten ist.