Am Totenfluß
Mit seinem fünfzehnten und gleichzeitig letzten Western gelang dem Hollywood-Routinier Gordon Douglas noch einmal ein besonderes Schätzchen. BARQUERO ist ein roher Film, der mit den Traditionen des US-Western insgesamt recht wenig am Hut hat und sich in seiner zynischen Grundhaltung zwischen alle Stühle setzt. Das mag auf den ersten Blick unentschieden wirken, ist es aber nicht. Denn schon durch die Besetzung der Hauptrollen verortet Douglas sein Sujet irgendwo zwischen Italo- und Spät-Western, ohne eines davon wirklich zu sein. BARQUERO ist etwas ganz eigenes. Eine Art Psycho-Western, der mit mythologischen Versatzstücken spielt. Soweit ich weiß, ist es auch der einzige Western, der einen Fährmann und dessen Arbeit in den Mittelpunkt stellt, was ihn zu einem Unikat macht. Hört man die Geschichte dieses Fährmannes, denkt man natürlich gleich an die Sage aus der griechischen Mythologie um den Fährmann am Fluß Styx, dem Totenfluß, der seine Passagiere von der Welt der Lebenden ins Reich der Toten befördert, ganz so wie es Travis hier tut, freilich unter Zuhilfenahme seiner Flinte.
Mit Lee Van Cleef, der nach seinem Durchbruch im Italo-Western den Zenit seiner Populariät erlebte, welche ihm endlich die lange ersehnte Hollywood-Hauptrolle einbrachte, konnte Douglas den zu jener Zeit denkbar besten Schauspieler für die schwierige, ambivalente Figur des hin und her gerissenen Fährmanns verpflichten. Van Cleef bringt genau die richtige Mischung rauer Maskulinität und berufsethisch bedingter Empathie als Frontier in den Charakter, der nicht uneigennützig, doch kompromisslos seine Ziele verfolgt, die letztendlich auch dem Gemeinwohl dienen. In manchen Szenen kann man in seinen schmalen Augen aber so etwas wie warmherzige Nächstenliebe aufblitzen sehen und erkennen, das er das richtige tun wird. Sein freiwilliger Helfer, der Mountain Man Phil, ist scheinbar aus reiner freundschaftlicher Verbundenheit zu seinem Bruder im Geiste bereit sein Leben für die Zivilisation aufs Spiel zu setzen. Der wackere alte Haudegen Forrest Tucker stattet ihn mit spitzbübischem Charme und einer gewissen Skrupellosigkeit aus. Männer wie Phil und Travis waren es, die der Zivilisation den Weg bereiteten und dessen sind sie sich auch bewusst, wie sie durch ihre Handlungen unterstreichen. Auf der Gegenseite haben wir Peckinpah-Veteran Warren Oates, noch im WILD-BUNCH-Modus, als zunächst erfolgsverwöhnten machthungrigen Remy, dem die Zügel immer mehr zu entgleiten drohen und dessen gewaltsame Vorgehensweise schließlich zu verstörter Orientierungslosigkeit führt. Einen solchen Schurken mit menschlichen Schwächen, bis hin zur ausgewachsenen Psychose, sieht man selten. Seinen Adlatus Marquette verkörpert der heute vergessene einstige Heldendarsteller Kerwin Mathews (SINDBADS 7. REISE, Nathan Juran 1958), in einem seiner letzten größeren Leinwand-Auftritte.
In der schönen Landschaft von Colorado gedreht, bietet der Film reichliche Schauwerte. Bei der Ausstattung und Kostümierung wurde auf größtmögliche Authentizität geachtet. Der Soundtrack von Dominic Frontiere orientiert sich, ähnlich seiner Komposition für Clint Eastwood's US-Western-Debüt HÄNGT IHN HÖHER (Ted Post, 1968) an den von Ennio Morricone geprägten Arbeiten für den Italo-Western und untermalt die dramatische Geschichte stimmig. Der Härtegrad der Gewalt-Szenen bleibt gemessen an der Entstehungszeit des Filmes moderat. BARQUERO ist ganz bestimmt nicht jedermanns Sache und scheint auf den ersten Blick nicht sehr innovativ, lohnt jedoch einen zweiten Blick aufgrund seiner vielen versteckten Qualitäten, durch die er sich seinen Geheimtipp-Status bewahren konnte.