...and then it all went wrong.
Nahezu fünfzig Mal wurde Victor Hugos Klassiker für die Leinwand adaptiert, zuletzt 1998 von Bille August mit Liam Neeson als Valjean und Geoffrey Rush als Javert. Jetzt erlebt der Stoff erstmals als Musical seine Kino-Premiere. Die Zutaten stimmen zunächst. Ein Oscar-Gekrönter Regisseur, eine Reihe von Superstars in den Hauptrollen, jede Menge Geld und ein potentielles Publikum von mehr als 50 Millionen Menschen, die im Laufe der letzten dreißig Jahre das Musical besuchten. Tom Hooper, der für THE KINGS SPEECH mit Preisen überhäuft wurde, entschied sich, die Stars am Set live singen zu lassen und die Musik später anzupassen. Ein kluger Schritt, der dem zu neunzig Prozent aus Gesangsszenen bestehenden Film eine künstlerische Authentizität gibt, welche selten in einem Musical erreicht wird. Vor allem Hugh Jackman, Anne Hathaway, Eddie Redmayne und Amanda Seyfried stellen ihr beträchtliches Talent unter Beweis. Gerade Jackman, in Australien einst ein gefeierter Musical-Star, suchte lange nach einer passenden Rolle in diesem Genre. Ihm gelingt es mühelos den Film zu tragen, sein Spiel ist mitreißend und überragend. Ich würde sogar soweit gehen und behaupten, er spielt die Rolle seines Lebens. Sein ebenfalls aus Australien stammender Kollege Russell Crowe hat da schon weniger Glück. Schauspielerisch ist er selbstredend klasse, stimmlich hingegen überzeugt der nebenbei als Rocksänger tourende Star bei den doch recht anspruchsvollen Songs weniger. Anne Hathaway, die für ihren zugegeben sehr kurz ausgefallenen Auftritt seltsamerweise mit einem Oscar belohnt wurde, hat ihrer Figur entsprechend den rührendsten Auftritt, bewegt sich aber durchaus im Rahmen des machbaren ohne sich besonders hervorzutun. Auch die restlichen Darsteller des Ensembles, zumeist direkt von den Musical-Bühnen gecastet, spielen und singen gut.

Leider ist das nicht alles, was sich über den Film sagen lässt. Mit einer Laufzeit von knapp zwei Stunden und vierzig Minuten ist LES MISERABLES um einiges zu lang ausgefallen. Ein paar Verkürzungen hier und einige Auslassungen da, hätten dem Werk sicher gut getan. Viele der Songs bekommen zu viel Raum, ziehen sich schier endlos. Die Nebenhandlung um Helena Bonham Carter und Sascha Baron Cohen bringt den Film kein Stück weiter, hält ihn auf, stört den Rhythmus empfindlich. Die komisch gemeinten Szenen stehen in direktem Kontrast zur eigentlich traurigen Geschichte und nehmen ihr jede Ernsthaftigkeit. Das führt zum Verlust der Glaubwürdigkeit als Ganzes. Auf einer Musical-Bühne mag das zur Auflockerung dienen, dem Film schadet es nur. Die größten Schwachpunkte liegen jedoch bei Kamera und Regie. Die Aufnahmen von Danny Cohen wechseln von pompös-angeberischen, möchtegern-überwaltigenden Standbildern mit hinein oder drumherum platzierten Statisten und einer nahezu völlig planlos umherwirbelnden Handkamera, die Nähe zu den Charakteren suggerieren soll, aber nur unübersichtlich wirkt. Eine totale optische Katastrophe, wie ich sie selten sehen musste. Tom Hooper erweist sich als völlig überfordert. Eine Szenen-Regie scheint nicht vorhanden, häufig werden die Räume nicht ausgenutzt, einige Computeranimationen sind deutlich zu erkennen, viele Szenen wirken unfertig und improvisiert, sodass der Film nie einen einheitlichen Ton findet, auch weil er zu sprunghaft geschnitten ist. Für ein Musical ist das tödlich.

All jenen, die sich für die Geschichte und weniger für die Songs interessieren, sei die phänomenale Verfilmung von Robert Hossein "DIE LEGION DER VERDAMMTEN" mit Lino Ventura aus dem Jahr 1982 empfohlen, denen, welchen die Musik am Herzen liegt, sei der Kauf einer CD oder der Besuch eines Musical-Theaters nahegelegt.