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Kurzbeschreibung
»Zombies« ist eine Erzählung von A. J. Weigoni. 2010 wurde das literarische Werk zuerst veröffentlicht.
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Der Sudelbuchschreiber
„Entfiktionalisierung“ lautete einstmals die Losung der politischen Dichtung. Die wahre Kunst der Fiktion jedoch besteht darin, Dinge zu erfinden, die real sind. Das Problem einer Gesellschaft, die sich schleichend in einer Abstumpfungskultur eingerichtet hat, in der in erster Linie nur mehr die Schläge mit dem Holzhammer zählen, liegt im Verlust aller Differenzierungen. Zwischentöne und Nuancen, Feinsinn und bloß Angedeutetes gehen verloren. Am Ende wird nur noch Aufsehen erregendes registriert. In »Zombies« wirft A.J. Weigoni die Frage auf, welche Stellung der Sprache in dieser bildmedialen Kultur noch zukommt. Die Wahrnehmung des Spektakulären, die Sensation wird zur Wahrnehmung schlechthin. Wo der Extremfall von Wahrnehmung zum Normalfall geworden ist, wird das Subtile in der Kultur ausgelöscht. Es benötigt Zeit, Konzentration und Anstrengung. Genau das ist dem Schock und der Überwältigung fremd.
Weigoni ist mit der für ihn typischen Neugier auf der Suche nach dem Banalen. Er spitzt in den Erzählungen »Zombies« auf seine Weise zu, daß Banalität zunehmend das Maß des Alltäglichen wird; er legt mit seinen Formulierungen die brutalen Implikationen des Normalen frei. Diese Prosa geht über die Imitation von Realität hinaus. Wirklichkeit ist bei dieser Art von Prosa eine Kombination von Distanz und Nähe, von Künstlichkeit und Wahrhaftigkeit, vor allem aber von Ekel und Faszination: etwas, das man sehen möchte, obwohl man eigentlich gleichzeitig lieber weglaufen möchte. Weigonis Sprache ist immer an der Grenze zum Erträglichen ist; überschreiten wird er diese Grenze nicht. Poesie und Härte, Abscheu und Einfühlsamkeit faßt er zu einer ungewohnten Einheit zusammen. Das schafft Aufmerksamkeit, ist allerdings keine Effekthascherei. Weigonis literarische Arbeit orientiert sich nicht an Kommerzialität. Das sichert ihm die innere Freiheit zu Kontinuität, die für seine Poesie einen hohen Stellenwert hat.
Literatur kann ein Medium der Selbstbestimmung sein. Und diese bringt der Literatur neue Werte. Die Suche nach Identität und Ausdruck zieht sich durch Weigonis Werk. Sie exerziert den Schmerz der Sprachlosigkeit, den Verlust körperlicher und seelischer Integrität in Lyrik, Prosa und Drama bis an den Rand des Erträglichen. Der Schock soll die repressiven Muster zertrümmern. Weigoni sucht das Monströse im Normalen und das Normale im Monströsen, seine Verdichtungen schließen sich in ihrem Gehalt an die Wirklichkeit der Menschen im 21. Jahrhundert an. Die Eindringlichkeit seines Schreibens hängt mit dem tiefen Referenzraum seiner Poethologie zusammen. Die Erzählungen haben einen formal innovativen Ansatz, man erkennt die Figuren unmittelbar an ihrer unverwechselbaren Sprache, die so brennscharf die Realität abbildet und den Lesern neue Wahrnehmungsmöglichkeiten verschafft. Diese Literatur öffnet den Blick für das nie Gesehene, nie Gedachte, so wie Kleist über den Mönch am Meer bemerkte, es sei, wenn man das Bild betrachte, als ob einem die Augenlider weggeschnitten wären.
Wirklich¬keit erfassen
„Der Zombie ist interessant, weil die Medizin eine gravierende Umbruchssituation hervorruft“, konstatiert der Freiburger Philosoph Oliver Müller. Weigonis Sensibilität und Wahrnehmungsschärfe, seine sprachliche Phantasie, ätzende Genauigkeit und sein untergründiger Witz scheinen in der konzentrierten Gattung der Erzählung einen besonders fruchtbaren Boden gefunden zu haben. Die Erzählungen machen uns glauben, daß sich das ganze Leben in einem einzigen kurzen Moment der Hellsicht ändere. Als Schriftsteller ist Weigoni ein Sprachspieler. Sein Material ist die deutsche Sprache, er verbindet der Versuch, diese aus der Floskel zu befreien. Die Erzählungen kontern den moralischen Imperativ, daß Erzählen etwas Gutes sei. Mit dem Begriff Erzählung ist hier eine Gattung gemeint, die schnell auf den Punkt kommt, dabei mit anderen Geschichten vernetzt ist. Handlungsverlauf bzw. Entwicklung wird nicht chronologisch und durchgängig aus einer Perspektive vorgestellt, Nebenfiguren tauchen in dieser Verwahrlosungsrevue als Hauptfiguren auf. Damit wird diesem Buch jedoch nicht das restmoderne Etikett "Roman in Erzählungssegmenten" angepappt: Zombies ist ein komponierter Erzählungsband.
Der Langsamschreiber Weigoni hofft, sich dem Wesenskern einer Sache immer weiter anzunähern, zu präzisieren, zu verbessern. Das gilt besonders für die »Zombies«. Diese Erzählungen sind ein Gewebe, in das Bestandteile erfahrener Realität eingewoben sind, damit überwindet dieser antikonformistische Manierist die spielerische Postmoderne und setzt sich mit realen Gesellschaftsproblemen auseinander, ohne bei der teilnehmenden Beobachtung der Entwertungsgeschwindigkeit auf Ironie zu verzichten. Weigoni weicht der gelebten Wirklichkeit nicht aus, er versteht es, aus den vielen Ungereimtheiten, die er im Alltag vorfanden, eine Poesie zu machen, die durch ihren Bildcharakter vorführen, daß die Widersprüche den Sachverhalten oft immanent sind, sich gegenseitig bedingen, und in der Literatur nicht ausschließlich mit dialektischer Eleganz darstellen lassen, es sei denn, man nimmt in Kauf, daß die Wahr¬haftig¬keit, mit der sie im Leben vorkommen, gänzlich zur Auslöschung gebracht wird. Weigoni begreift Schreiben als Attacke auf die Konsenskultur, auf die Toleranzhölle des Westens. Bei den Motiven seiner Figuren verschmelzen Perversion und Normalität mit der vor allem das männliche Geschlecht begleitenden ewigen Trinität von Gewalt, Sex und Suff; mit hilfloser Empathie und gerechtem Zorn, der nur selten fruchtet. Dieser Romancier pflegt einen Stil, der Imagination mit Sachlichkeit, Kälte mit Empathie, Realismus mit Parodie, Reflexion mit Narration, Komik mit Utopie, Ironie mit Verzweiflung, Wahnsinn mit Trauer verbindet.
Prosa in Zeiten der Globalisierung
Poesie hat für Weigoni immer etwas mit Gesellschaftlichkeit zu tun. Er nutzt das Zeitalter der neuen Unübersichtlichkeit als diskursives Spielmaterial für seine gedanklichen Experimentalanordnungen. Die Multioptionsgesellschaft erscheint in den Erzählungen als grandioses Ablenkungsmanöver, um fundamentale Alternativen aus den Köpfen und dem Streben der Menschen zu verbannen. Dem Anschein nach kontrastreich, vielfältig, individualistisch, wird das Leben in Wahrheit von Monotonie und Konformismus beherrscht, das utopische Bewußtsein ist in der transzendenzlosen Warengesellschaft überwunden. Weigoni zerdehnt die Statement–Kultur, bis in den Rissen der Rede die zweiten Absichten und Motive sichtbar werden. Angewidert von der geheuchelten Aufrichtigkeit des glatt polierten Selbstmarketings, attackiert er die Oberflächen–Sprache mit Wendungen, Wiederholungen und Wortungetümen. Das Kapital saugt den Ausgebeuteten den Lebenssaft aus und läßt sie als willenlose Untote zurück. Weigonis Erzählungen lassen sich auf dieser Metaebene auch als Sachbuch der Bürokratisierung lesen.
Die soziale Welt, wie Menschen sie in dieser Frivolitätsepoche erleben, entspricht nur selten ihren Wünschen. Aber es liegt im Bereich der menschlichen Kraft, sie diesen Wünschen entsprechender zu machen. So manches, was hier erzählt wird, kann nie im Leben so gewesen sein. Aber diese Zombies bringen uns das Leben näher, als dieses es selbst kann. Weigoni setzt sich über die Wirklichkeit hinweg, um der Wahrheit näher zu kommen. Je unglaubwürdiger es wird, desto glaubwürdiger wird diese Literatur. De Erzählband »Zombies« ist großartige Fiktion – dabei ist kaum etwas davon frei erfunden. Die von ihm als hypermoderne Menschen beschriebenen Kreaturen erleben eine Zergliederung und Fragmentierung des Abgebildeten, Veränderungen, ja Verstümmelungen des eigenen Körpers sie sind das ästhetische Untersuchungsprogramm. Von besonderem Interesse für Weigoni sind dabei die Bruchstellen, als wolle er penibel prüfen, was es mit der körperlichen Verdinglichung des 21. Jahrhunderts auf sich hat. Diese Erzählungen stehen im selben gesellschaftlichen Kontext mit dem chorischen Zusammenschluss vieler Körper, der Massenidentität: Das realistische Erzählen wird zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu einer Form des Widerstands.
Porträtist der bundesdeutschen Alltags–Seelen
Ordnung ist das halbe Leben, der Rest ist Aufbegehren. In den Zombies verknüpft Weigoni poetische und philosophische Gesellschaftskritik mit Medienanalyse zu einem Textgewebe, das der Korrelation zwischen Sinn und Sein nachspürt. Es haftet Wörtern wie Globalisierung, Individualstaat und Fürsorgegesellschaft etwas Häßliches an, es sind stumme Wörter ohne Klang, zugleich jedoch Wörter, die nicht alt klingen, denn das, was sie ausdrücken, was ihre Semantik ausmacht, existiert (wenngleich nicht in gleichem Ausmaß) nach wie vor, es schlummert in der Mitte der entindividualisierten Gesellschaften. Weigonis Kunst besteht nicht in einem literarisch aufgemöbelten Journalismus, sondern in der atemberaubenden Fähigkeit, sich in diese beschädigten Seelen einzufühlen, aus ihnen heraus zu erzählen.
Weigoni, das wissen wir, geht stets aufs Ganze, es ist eine fast irrwitzige Sehnsucht nach dem Absoluten und dem Extremen. Beliebigkeit oder Gleichgültigkeit sind Fremdwörter für ihn. Er arbeitet extensiv mit Übertreibungen. Dank verschiedenster rhetorischer Hilfsmittel schafft er es, Gegensätze zu vereinen: Sie ist leicht und schwierig, amüsant und traurig, tiefsinnig und scheinbar unbeschwert. Das Schreiben wird von einer quecksilbrigen, wie aufgeputschten Intelligenz vorangetrieben. Seine Kunst versöhnt uns mit der Vergeblichkeit des Lebens. Er schreibt über die Nachtseite des Lebens, erzählt aus der Fülle und aus einer Mitte des ergriffenen Daseins heraus, und dies erfahrungsgesättigt von Menschen, die an der Geschichte zerbrechen oder am Unglück wachsen und die ein Leben lang mit ihrer Existenz ringen. Er hält dabei durchweg die Balance zwischen analytischer Distanz und emotionaler Nähe. Schrecken verwandelt sich in Schönheit. Selten ist vom Sinnlosen und Entsetzlichen so heiter und enthusiastisch erzählt worden.
Ein Feuerwerk an mentalen Links
Die Erzählungen ähneln poetischem Schrapnell, abgefeuert, um sich im Hirn festzukrallen und die Gegenwart osmotisch zu durchdringen. Weigoni wendet sich gegen die spitzenbesetzte Intelligenz, seine Hauptfrage ist eine völlig unpopuläre: Was ist der Mensch? Diese Frage erregte Montaigne und Hobbes, Pico della Mirandola und Robert Burton und viele, viele andere, Denker, die alle aus der Mode gekommen sind, so wie auch die Frage selbst aus der Mode gekommen zu sein scheint. Natürlich nicht ganz. Denn Weigoni hat trotzdem und natürlich noch Reisegefährten unter den Zeitgenossen, genauso einsame Wanderer sind wie er selbst. Dichterkollegen wie Patricia Brooks, Theo Breuer, Haimo Hieronymus, Axel Kutsch, Dieter Scherr oder Enno Stahl bewegt bei allen Unterschieden dieselbe Frage, und keiner von ihnen ist willig, seine freie Denkweise dem Rastersystem der akademischen Disziplinen anzupassen.
Das Bewußtsein vom Tod ist für Weigoni der große Impuls hinter jeder lebensdeutenden und also lebensbejahenden Handlung. Das Bewußtsein der Endlichkeit schafft mit ausgefeilt suggestiver Überwältigungstechnik Sinn. Der Untote ist eine Provokation, die durch die Medizin Wirklichkeit geworden ist: Organe werden weiterverwendet, Nanomaschinen ähneln Zellen, Embryonen werden eingefroren. Philosophie und Poesie kreuzen sich in der Frage nach dem Sinn des Lebens und in der Sinnsuche, und deshalb besteht zwischen Sinn und Sein eine immanente Interferenz. Die Herstellung von Sinn führt zu einer Aura von Bedeutsamkeit, die Zeitlichkeit negiert. So ist das Ephemere naturgemäß omnipräsentes Thema seiner literarischen Arbeit. Für Weigoni ist Literatur der Versuch, die Zeitlichkeit zu transzendieren und das Wissen vom Tod erträglich zu machen; drum handeln die Erzählungen explizit oder implizit immer auch vom Tod.
Diese Erzählungen sind ein Gegenentwurf zu den Prolo–Komödien, die als ungeschönte Milieubilder daherkommen, letztlich aber nur Freakshows sind, die statt Menschen Witzfiguren zeigen. Diese »Zombies« dagegen wissen durch alle Skurrilitäten und Absurditäten die Würde ihrer Protagonisten zu verteidigen. Das Lachen über sie ist immer empathisch, nie abfällig. Weigonis Erzählungen haben nicht nur – wie guter Wein – einen Körper, sie haben ein satirisches Bewußtsein, das sie mit jeder Silbe ausdünsten, das alle Sätze atmosphärisch umhüllt. Da ist eine schmerzlich spürbare Differenz zur dargestellten Welt, die im ganzen Text vibriert und den Gefühlsraum des Lesers in Schwingung versetzt. Der Leser denkt in diesen Erzählungen mit, und so kann diese Literatur niemals abgeschlossen sein.
»Zombies«, Erzählungen von A. J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2010 – Limitierte und handsignierte Ausgabe des Buches als Hardcover
Die Aufnahme ist in HiFi-Stereo-Qualität erhältlich über: info@tonstudio-an-der-ruhr.de
Weigoni ist mit der für ihn typischen Neugier auf der Suche nach dem Banalen. Er spitzt in den Erzählungen »Zombies« auf seine Weise zu, daß Banalität zunehmend das Maß des Alltäglichen wird; er legt mit seinen Formulierungen die brutalen Implikationen des Normalen frei. Diese Prosa geht über die Imitation von Realität hinaus. Wirklichkeit ist bei dieser Art von Prosa eine Kombination von Distanz und Nähe, von Künstlichkeit und Wahrhaftigkeit, vor allem aber von Ekel und Faszination: etwas, das man sehen möchte, obwohl man eigentlich gleichzeitig lieber weglaufen möchte. Weigonis Sprache ist immer an der Grenze zum Erträglichen ist; überschreiten wird er diese Grenze nicht. Poesie und Härte, Abscheu und Einfühlsamkeit faßt er zu einer ungewohnten Einheit zusammen. Das schafft Aufmerksamkeit, ist allerdings keine Effekthascherei. Weigonis literarische Arbeit orientiert sich nicht an Kommerzialität. Das sichert ihm die innere Freiheit zu Kontinuität, die für seine Poesie einen hohen Stellenwert hat.
Literatur kann ein Medium der Selbstbestimmung sein. Und diese bringt der Literatur neue Werte. Die Suche nach Identität und Ausdruck zieht sich durch Weigonis Werk. Sie exerziert den Schmerz der Sprachlosigkeit, den Verlust körperlicher und seelischer Integrität in Lyrik, Prosa und Drama bis an den Rand des Erträglichen. Der Schock soll die repressiven Muster zertrümmern. Weigoni sucht das Monströse im Normalen und das Normale im Monströsen, seine Verdichtungen schließen sich in ihrem Gehalt an die Wirklichkeit der Menschen im 21. Jahrhundert an. Die Eindringlichkeit seines Schreibens hängt mit dem tiefen Referenzraum seiner Poethologie zusammen. Die Erzählungen haben einen formal innovativen Ansatz, man erkennt die Figuren unmittelbar an ihrer unverwechselbaren Sprache, die so brennscharf die Realität abbildet und den Lesern neue Wahrnehmungsmöglichkeiten verschafft. Diese Literatur öffnet den Blick für das nie Gesehene, nie Gedachte, so wie Kleist über den Mönch am Meer bemerkte, es sei, wenn man das Bild betrachte, als ob einem die Augenlider weggeschnitten wären.
Wirklich¬keit erfassen
„Der Zombie ist interessant, weil die Medizin eine gravierende Umbruchssituation hervorruft“, konstatiert der Freiburger Philosoph Oliver Müller. Weigonis Sensibilität und Wahrnehmungsschärfe, seine sprachliche Phantasie, ätzende Genauigkeit und sein untergründiger Witz scheinen in der konzentrierten Gattung der Erzählung einen besonders fruchtbaren Boden gefunden zu haben. Die Erzählungen machen uns glauben, daß sich das ganze Leben in einem einzigen kurzen Moment der Hellsicht ändere. Als Schriftsteller ist Weigoni ein Sprachspieler. Sein Material ist die deutsche Sprache, er verbindet der Versuch, diese aus der Floskel zu befreien. Die Erzählungen kontern den moralischen Imperativ, daß Erzählen etwas Gutes sei. Mit dem Begriff Erzählung ist hier eine Gattung gemeint, die schnell auf den Punkt kommt, dabei mit anderen Geschichten vernetzt ist. Handlungsverlauf bzw. Entwicklung wird nicht chronologisch und durchgängig aus einer Perspektive vorgestellt, Nebenfiguren tauchen in dieser Verwahrlosungsrevue als Hauptfiguren auf. Damit wird diesem Buch jedoch nicht das restmoderne Etikett "Roman in Erzählungssegmenten" angepappt: Zombies ist ein komponierter Erzählungsband.
Der Langsamschreiber Weigoni hofft, sich dem Wesenskern einer Sache immer weiter anzunähern, zu präzisieren, zu verbessern. Das gilt besonders für die »Zombies«. Diese Erzählungen sind ein Gewebe, in das Bestandteile erfahrener Realität eingewoben sind, damit überwindet dieser antikonformistische Manierist die spielerische Postmoderne und setzt sich mit realen Gesellschaftsproblemen auseinander, ohne bei der teilnehmenden Beobachtung der Entwertungsgeschwindigkeit auf Ironie zu verzichten. Weigoni weicht der gelebten Wirklichkeit nicht aus, er versteht es, aus den vielen Ungereimtheiten, die er im Alltag vorfanden, eine Poesie zu machen, die durch ihren Bildcharakter vorführen, daß die Widersprüche den Sachverhalten oft immanent sind, sich gegenseitig bedingen, und in der Literatur nicht ausschließlich mit dialektischer Eleganz darstellen lassen, es sei denn, man nimmt in Kauf, daß die Wahr¬haftig¬keit, mit der sie im Leben vorkommen, gänzlich zur Auslöschung gebracht wird. Weigoni begreift Schreiben als Attacke auf die Konsenskultur, auf die Toleranzhölle des Westens. Bei den Motiven seiner Figuren verschmelzen Perversion und Normalität mit der vor allem das männliche Geschlecht begleitenden ewigen Trinität von Gewalt, Sex und Suff; mit hilfloser Empathie und gerechtem Zorn, der nur selten fruchtet. Dieser Romancier pflegt einen Stil, der Imagination mit Sachlichkeit, Kälte mit Empathie, Realismus mit Parodie, Reflexion mit Narration, Komik mit Utopie, Ironie mit Verzweiflung, Wahnsinn mit Trauer verbindet.
Prosa in Zeiten der Globalisierung
Poesie hat für Weigoni immer etwas mit Gesellschaftlichkeit zu tun. Er nutzt das Zeitalter der neuen Unübersichtlichkeit als diskursives Spielmaterial für seine gedanklichen Experimentalanordnungen. Die Multioptionsgesellschaft erscheint in den Erzählungen als grandioses Ablenkungsmanöver, um fundamentale Alternativen aus den Köpfen und dem Streben der Menschen zu verbannen. Dem Anschein nach kontrastreich, vielfältig, individualistisch, wird das Leben in Wahrheit von Monotonie und Konformismus beherrscht, das utopische Bewußtsein ist in der transzendenzlosen Warengesellschaft überwunden. Weigoni zerdehnt die Statement–Kultur, bis in den Rissen der Rede die zweiten Absichten und Motive sichtbar werden. Angewidert von der geheuchelten Aufrichtigkeit des glatt polierten Selbstmarketings, attackiert er die Oberflächen–Sprache mit Wendungen, Wiederholungen und Wortungetümen. Das Kapital saugt den Ausgebeuteten den Lebenssaft aus und läßt sie als willenlose Untote zurück. Weigonis Erzählungen lassen sich auf dieser Metaebene auch als Sachbuch der Bürokratisierung lesen.
Die soziale Welt, wie Menschen sie in dieser Frivolitätsepoche erleben, entspricht nur selten ihren Wünschen. Aber es liegt im Bereich der menschlichen Kraft, sie diesen Wünschen entsprechender zu machen. So manches, was hier erzählt wird, kann nie im Leben so gewesen sein. Aber diese Zombies bringen uns das Leben näher, als dieses es selbst kann. Weigoni setzt sich über die Wirklichkeit hinweg, um der Wahrheit näher zu kommen. Je unglaubwürdiger es wird, desto glaubwürdiger wird diese Literatur. De Erzählband »Zombies« ist großartige Fiktion – dabei ist kaum etwas davon frei erfunden. Die von ihm als hypermoderne Menschen beschriebenen Kreaturen erleben eine Zergliederung und Fragmentierung des Abgebildeten, Veränderungen, ja Verstümmelungen des eigenen Körpers sie sind das ästhetische Untersuchungsprogramm. Von besonderem Interesse für Weigoni sind dabei die Bruchstellen, als wolle er penibel prüfen, was es mit der körperlichen Verdinglichung des 21. Jahrhunderts auf sich hat. Diese Erzählungen stehen im selben gesellschaftlichen Kontext mit dem chorischen Zusammenschluss vieler Körper, der Massenidentität: Das realistische Erzählen wird zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu einer Form des Widerstands.
Porträtist der bundesdeutschen Alltags–Seelen
Ordnung ist das halbe Leben, der Rest ist Aufbegehren. In den Zombies verknüpft Weigoni poetische und philosophische Gesellschaftskritik mit Medienanalyse zu einem Textgewebe, das der Korrelation zwischen Sinn und Sein nachspürt. Es haftet Wörtern wie Globalisierung, Individualstaat und Fürsorgegesellschaft etwas Häßliches an, es sind stumme Wörter ohne Klang, zugleich jedoch Wörter, die nicht alt klingen, denn das, was sie ausdrücken, was ihre Semantik ausmacht, existiert (wenngleich nicht in gleichem Ausmaß) nach wie vor, es schlummert in der Mitte der entindividualisierten Gesellschaften. Weigonis Kunst besteht nicht in einem literarisch aufgemöbelten Journalismus, sondern in der atemberaubenden Fähigkeit, sich in diese beschädigten Seelen einzufühlen, aus ihnen heraus zu erzählen.
Weigoni, das wissen wir, geht stets aufs Ganze, es ist eine fast irrwitzige Sehnsucht nach dem Absoluten und dem Extremen. Beliebigkeit oder Gleichgültigkeit sind Fremdwörter für ihn. Er arbeitet extensiv mit Übertreibungen. Dank verschiedenster rhetorischer Hilfsmittel schafft er es, Gegensätze zu vereinen: Sie ist leicht und schwierig, amüsant und traurig, tiefsinnig und scheinbar unbeschwert. Das Schreiben wird von einer quecksilbrigen, wie aufgeputschten Intelligenz vorangetrieben. Seine Kunst versöhnt uns mit der Vergeblichkeit des Lebens. Er schreibt über die Nachtseite des Lebens, erzählt aus der Fülle und aus einer Mitte des ergriffenen Daseins heraus, und dies erfahrungsgesättigt von Menschen, die an der Geschichte zerbrechen oder am Unglück wachsen und die ein Leben lang mit ihrer Existenz ringen. Er hält dabei durchweg die Balance zwischen analytischer Distanz und emotionaler Nähe. Schrecken verwandelt sich in Schönheit. Selten ist vom Sinnlosen und Entsetzlichen so heiter und enthusiastisch erzählt worden.
Ein Feuerwerk an mentalen Links
Die Erzählungen ähneln poetischem Schrapnell, abgefeuert, um sich im Hirn festzukrallen und die Gegenwart osmotisch zu durchdringen. Weigoni wendet sich gegen die spitzenbesetzte Intelligenz, seine Hauptfrage ist eine völlig unpopuläre: Was ist der Mensch? Diese Frage erregte Montaigne und Hobbes, Pico della Mirandola und Robert Burton und viele, viele andere, Denker, die alle aus der Mode gekommen sind, so wie auch die Frage selbst aus der Mode gekommen zu sein scheint. Natürlich nicht ganz. Denn Weigoni hat trotzdem und natürlich noch Reisegefährten unter den Zeitgenossen, genauso einsame Wanderer sind wie er selbst. Dichterkollegen wie Patricia Brooks, Theo Breuer, Haimo Hieronymus, Axel Kutsch, Dieter Scherr oder Enno Stahl bewegt bei allen Unterschieden dieselbe Frage, und keiner von ihnen ist willig, seine freie Denkweise dem Rastersystem der akademischen Disziplinen anzupassen.
Das Bewußtsein vom Tod ist für Weigoni der große Impuls hinter jeder lebensdeutenden und also lebensbejahenden Handlung. Das Bewußtsein der Endlichkeit schafft mit ausgefeilt suggestiver Überwältigungstechnik Sinn. Der Untote ist eine Provokation, die durch die Medizin Wirklichkeit geworden ist: Organe werden weiterverwendet, Nanomaschinen ähneln Zellen, Embryonen werden eingefroren. Philosophie und Poesie kreuzen sich in der Frage nach dem Sinn des Lebens und in der Sinnsuche, und deshalb besteht zwischen Sinn und Sein eine immanente Interferenz. Die Herstellung von Sinn führt zu einer Aura von Bedeutsamkeit, die Zeitlichkeit negiert. So ist das Ephemere naturgemäß omnipräsentes Thema seiner literarischen Arbeit. Für Weigoni ist Literatur der Versuch, die Zeitlichkeit zu transzendieren und das Wissen vom Tod erträglich zu machen; drum handeln die Erzählungen explizit oder implizit immer auch vom Tod.
Diese Erzählungen sind ein Gegenentwurf zu den Prolo–Komödien, die als ungeschönte Milieubilder daherkommen, letztlich aber nur Freakshows sind, die statt Menschen Witzfiguren zeigen. Diese »Zombies« dagegen wissen durch alle Skurrilitäten und Absurditäten die Würde ihrer Protagonisten zu verteidigen. Das Lachen über sie ist immer empathisch, nie abfällig. Weigonis Erzählungen haben nicht nur – wie guter Wein – einen Körper, sie haben ein satirisches Bewußtsein, das sie mit jeder Silbe ausdünsten, das alle Sätze atmosphärisch umhüllt. Da ist eine schmerzlich spürbare Differenz zur dargestellten Welt, die im ganzen Text vibriert und den Gefühlsraum des Lesers in Schwingung versetzt. Der Leser denkt in diesen Erzählungen mit, und so kann diese Literatur niemals abgeschlossen sein.
»Zombies«, Erzählungen von A. J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2010 – Limitierte und handsignierte Ausgabe des Buches als Hardcover
Die Aufnahme ist in HiFi-Stereo-Qualität erhältlich über: info@tonstudio-an-der-ruhr.de
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