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Originalsprache : Deutsch

Kurzbeschreibung


»Hörspiele« ist ein literarisches Werk von A. J. Weigoni. 2007 wurde das literarische Werk zuerst veröffentlicht.

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LiteraturClips
Viel wurde in den letzten Jahren über Popliteratur geschrieben. Ein weithin unbeachteter Aspekt ist dabei, daß maßgebliche Impulse für die Entstehung einer Popliteratur vom Rheinland ausgingen. Am Anfang standen die Autoren und Übersetzer Rolf Dieter Brinkmann und Ralf-Rainer Rygulla, die ab Mitte der 1960er Jahre in Köln lebten und von hier aus der amerikanischen Beat- und Untergrund-Literatur deutschlandweite Aufmerksamkeit verschafften.

In Düsseldorf betrieben A. J. Weigoni und Frank Michaelis im Akademie-Umfeld mit der Literatur eine multimediale Hörspielerei zwischen Performance, Theater und Lesung. Bereits 1991 legte dieses Duo die zum Schlagwort gewordenen »Literaturclips« vor. Den Hörbuchpionieren kommt damit das Verdienst zu, die Lyrik nach 400 Jahren babylonischer Gefangenschaft aus dem Buch befreit zu haben.

Diese Literaturclips mögen heiße Luft sein, sind aber angereichert mit purem Sauerstoff. Sauerstoffhappen, eher Häppchen, die den Ohrganismus am Überleben halten. Das frühzeitige Erkennen, daß in der Kürze der einzelnen Beiträge der Erfolg zum langen Atem liegt – beim Produzenten vielleicht, beim Zuhörer gewiss – ist sehr hoch anzurechnen. Mit der Kürze entsteht eine Konzentration auf das Elementare. Beinahe verschwörerisch rezitiert Weigoni den »Schwebebahn«-Text. Michaelis bläst ein Saxophon, dessen bewußt blecherne Schwüle leicht eine ganze New Yorker U–Bahn–Station unterhalten könnte. Wahrscheinlich haben sich die Artisten deshalb beim Dreh in Wuppertal so heimisch gefühlt.

http://www.vordenker.de/weigoni/schwebebahn.htm




Die Meta-Ebene zu Metaphon
Seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts sieht die Literatur auch die neue Form der Arbeit, zwischen Bestellung des Landes durch das Volk und Repräsentanz der Herrschaft: die kollektivierte Arbeit zur Herstellung von Waren, die Arbeit des Menschen mit der Maschine und die Arbeit des Menschen als Maschine. Nicht daß sich die neugierige Literaturproduktion nicht vorher schon mit Webstühlen, Baugerüsten oder Manufakturen auseinandergesetzt hätte, aber das geschah vorwiegend mit einem enzyklopädisch kalten Blick. Die Literatur konnte Arbeit erst darstellen, als sie den Arbeiter als ihr menschliches Subjekt und vorwiegend als ihr Opfer zu sehen gelernt hatte. Und damit, natürlich, begannen auch schon die Probleme. Zu dieser Zeit war die Literatur dabei, ihre politische Ökonomie vergleichsweise radikal zu verbürgerlichen. Sie war ein entscheidendes Mittel der Distinktion, nicht nur nach oben, gegen die Repräsentationsform des Adels, sondern auch nach unten, gegen etwas Diffuses, Unbekanntes, eine neue Klasse, deren Blut, Schweiß und Tränen, Reichtum und Distinktion des Bürgertums erst ermöglichte. Einerseits also mußten sozusagen die neue Arbeit und der neue Arbeiter mit den Mitteln eines bürgerlichen Codes dargestellt werden, andererseits war die neue, industrielle Arbeit von vorneherein mit Elend, Entfremdung, Ausbeutung und Kampf verbunden. Kunst, die Arbeit und ihre Bedingungen zur Kenntnis nimmt, ist gleichsam automatisch dissident, es sei denn, sie folgt den bürgerlichen Prinzipien von Allegorisierung, Heroisierung, Idylle oder Exotik. Mit der Industrialisierung begann das Zeitalter der Kurzgeschichte. Damit war die Geschichte des bürgerlichen Bildungsromans beendet.

Wenn die Geschichte der Medien die Geschichte einer Konkurrenz ist, begann sie mit einem Vorsprung. Die Dichter hatten die Montage entdeckt, als die ersten Photographen noch Stunden brauchten, um ein einzelnes Bild zu entwickeln.

Es war, als hätte die Literatur den Film erahnt und als er kam, genossen sie gemeinsam den Rausch der sich überstürzenden Eindrücke. Das Drehbuch wurde erfunden, später der Rundfunk mit dem Hörspiel begrüßt. Als das Fernsehen sich breit machte, fand es die Schriftsteller schon in skeptischer Distanz. Multimediales Spiel mit Video, Performances und Installationen dachten Maler und Musiker sich aus, deren Zaungäste manchmal auch Dichter waren.

Der Videoclip, ein durch Bildschnitt und Rhythmus bestimmtes Medium, überholte sie alle. Trotzdem verweigert sich die Wortkunst seiner Inspiration. Es scheint, daß sich die Literaten vom flüchtigen ästhetischen Reiz nicht den langen Atem rauben lassen wollen. Uns ist diese kurze Form einen Versuch wert. Schon weil sie sich an einem anderen Ende der Welt ganz unverdächtig bewährt hat: im japanischen Haiku. Haikus sind einfache Sätze. Beobachtungen, in denen fast nichts passiert. Nur daß gerade ein Frosch ins Wasser springt. Der Haiku bedeutet nichts und wirkt trotzdem.

Zwischen der Leere des Zen-Spruchs und dem hysterischen Rhythmus des Videoclips ist eine Form zu entdecken, die sich hören lassen kann. Nur so kann Literatur, will sie auf die veränderten medialen Verhältnisse und die dadurch erzeugten Wirklichkeiten reagieren, einen innovativen Input erhalten und letztlich eine weitere Existenzberechtigung.

Es hat etwas länger gedauert, bis sich Brechts ‚Radio-Theorie“ im Internet in mediale Praxis verwandelt hat. Neben Bloggern und Podcastern ist hier eine neue Spielart eines sekundären Marktes entstanden, der einer Menge an Zwischenhändlern via eBay schon einmal zum Start verholfen hat. Die digitale Revolution verblüfft ihre Kinder mit immer neuen Volten und zeigt, worin der Erfolg der neuen Medien bestehen kann. Die Community kann direkt Einfluss auf die Seiteninhalte in Form von Artikeln und Bewertungen zu nehmen, darüber hinaus können die Benutzer selbst Änderungen an der Datenbank vorzunehmen. Neben einem Forum hat man bei http://www.Hoerspielprojekt.de die Möglichkeit Hörspiele herunterzuladen. Seitdem Hörspiele ständig und überall herunterladbar geworden sind, schwimmt auch die zuständige Kritik öfter im "Ocean Of Sound" – und taucht manchmal unter. Zumal die allgemeine Herunterladbarkeit von Hörspielen, die Veränderung der Hörgewohnheiten, die mit dem großen stilistischen Durcheinander auf Festplatten einhergeht, längst auch auf die Hörspielproduktion selbst durchschlägt. Nicht nur die Grenzen zwischen verschiedenen Stilen sind durchlässig geworden, auch der Unterschied zwischen Vergangenheit und Gegenwart ist längst verwischt. Dem muß man sich stellen. Das mag heißen, daß man mit den Beinen strampelt, daß man um Hilfe ruft oder daß es einem gelingt, auf den Wellen surfen und elegant über die Schaumkronen des "Ocean Of Sound" zu reiten. Am Ende kommt es darauf an, so wenig Wasser wie möglich zu schlucken. Mit der Digitalisierung beginnt das Zeitalter des Literaturclips.

In den 12 Download-Angeboten der Reihe „MetaPhon“ werden bei http://www.Hoerspielprojekt.de Hörspielmacher aus der Rhein/Ruhr-Region vorgestellt.

Zu hören sind die Hörspielmacher: Mario Giordano, Helge Schneider, Jens Neumann, Marina Rother, A.J. Weigoni, u.a.

Und die Komponisten: Peter Brötzmann, Eva Kurowski, Franz Halmackenreuther, Alexander Perkin, Volker Förster, Tom Täger, u.a.


Meine Beziehung zu Weigoni wird durch die geheime Abmachung geprägt, sich nie zu nahe zu treten; dahinter steht ein Selbstverständnis, das Heinrich von Kleist folgendermaßen ausgedrückt habe: „Ich weiß nicht, was ich Dir über mich unaussprechlichen Menschen sagen soll.“. Daher ein Interview per e-mail.

HAGEDORN: Für die Reihe Metaphon hat mir das Tonstudio an der Ruhr dankenswerterweise digital restaurierte Aufnahmen zur Verfügung gestellt. Das war quasi eine medienarchäologische Arbeit...

WEIGONI: Es läßt sich kaum noch von der Hand weisen: Wie leben die totale Kommunikation bei zunehmender Sprachlosigkeit. Das Wissen ist schneller und vollständiger verfügbar. Dies führt immer seltener zu Reaktionen. Archive sind ein Luxus. Ich wage die Prognose, daß von dieser Zeit kaum etwas Verwertbares übrig bleiben wird, weil sich die Speichermedien alsbald selbst auflösen. Als Täger* und ich für eine Ausstellung den Hörfilm »Das kleine Helferlein« von DAT (das war einmal eine avancierte digitale Technologie) auf CD-R übertragen wollten hatten wir damit beim Kopieren große technische Probleme.

HAGEDORN: Obwohl ihr das inhaltlich genau zum Thema gemacht habt.

WEIGONI: Mit der freundlichen Unterstützung von Klaus Urbons vom ‚copymuseum’. Die Halbwertszeit der sogenannten „Neuen Medien“ ist atemberaubend. Die ‚Würde’ des Genres Hörspiel erweist sich darin, daß man es wie ein Kaleidoskop betrachten kann: Je nach Blickwinkel läßt es unterschiedlichste Brechungen zu. Heute fürchten sich die Menschen vor Aids und vor der Vogelgrippe, die man früher „Geflügelpest“ nannte. Kulturen werden überlagert und stürzen ineinander, Grenzen werden aufgebrochen – nationale ebenso wie materielle, technologische, psychologische. Hybride Kreationen und Kreaturen, Identitäten und Kulturen entstehen aus den Rekombinationen unserer grundlegenden Codes – den digitalen, den genetischen und den atomaren. Letztlich ist das digitale Hörspiel selbst ein Hybrid aus den Verbindungen von Kunst und Technologie. Es akkumuliert das gesamte Spektrum an Ausdrucksformen und erfordert ein Crossover von Expertisen und Kompetenzen.

HAGEDORN: Dies führte zum Iconic–Turn…

WEIGONI: Alles Quatsch! Was das Hören seit der Steinzeit ausmacht, ist, daß es uns in direkten Kontakt mit dem Sein bringt. Mit der Geschichte des Überlebens, kommen seit jeher alle Sinne ins Spiel, mit denen wir das Sein erfahren – Geschmack, Tastsinn, Hörsinn. Es ist das Gegenteil von Abstraktion. Es ist das, was man vor dem Einschlafen hört, den Herzschlag und das Rauschen des Blutes – auch wenn es sich fürchterlich pathetisch anhört: Der Sound des Lebens.

HAGEDORN: Das möchte ich gern im Zusammenhang mit deiner literaturpädagogischen Arbeit thematisieren.

WEIGONI: Nö!

HAGEDORN: Aber...

WEIGONI: Sorry, das kann man bei Interesse unter "Produktorientiertes medienpädagogisches Arbeiten mit Jugendlichen" auf http://www.vordenker.de/weigoni/mpaed.htm - nachlesen.

HAGEDORN: Okay, Themenwechsel. Deine politische Sozialisation ist erfolgt, als sich die Künstler mit den Arbeitern verbünden wollten. Welche politische Wahrheit gilt für dich?

WEIGONI: Was das Literarische angeht, weiß ich nicht, ob ‚politisch’ das angemessene Wort ist. Es ist nicht alles richtig, nur weil man sich selbst für politisch hält. Ich versuche einfach, so ehrlich und aufrichtig wie möglich zu sein. Zu mir selbst wie zu den Menschen, mit denen ich arbeite. Aufrichtig, höflich und nicht egoistisch.

HAGEDORN: Man erkennt souveräne Geister auch daran, daß sie Tabus ebenso höflich zu ignorieren pflegen wie die ihnen entsprechenden Moden. Du gehörst du zu den Außenseitern, die eine Gesellschaft braucht, um sich zu bestätigen.

WEIGONI: Mit dem Beruf des Schriftstellers assoziieren viele Menschen die Illusion von Freiheit. Dagegen versuche ich anzuschreiben: Niemand ist als selbstständiges Individuum ausgegrenzt und verloren. Nur ein Schriftsteller, der sich seine Verletzlichkeit bewahrt, kann überzeugen. Der Klang der Sprache ist von großer Bedeutung, aber für mich ist auch die Geschichte eine absolute Notwendigkeit. Es gibt es nichts, was demokratischer ist als das Erzählen von Geschichten. Schreiben bedeutet so besehen, in der Möglichkeitsform zu leben - und jedes Hörspiel entwirft einen Kosmos aus Ich-Fiktionen, für die das wirkliche Leben nichts als den Stoff hergibt.

HAGEDORN: Weil du als Lyriker, Romancier und Dramatiker arbeitest, hast du dich als vielseitig verkrachte Existenz bezeichnet...

WEIGONI: Mir bereitet es große Freude, wenn das Wort zu Fleisch wird. Da komme ich mit meiner Arbeit mehr vom Hörspiel, also einem Medium, das bereits 70 Jahre alt ist, da steht das Wort häufig im Mittelpunkt. Allerdings betone ich das Wort Spiel im Hörspiel. Das Spielen scheint mir der Königsweg zum Verständnis der neuen Medien zu sein. Computer, Studios und Software sind keine Werkzeuge, sondern Spielzeuge, wobei die alten Medien als Navigationshilfen dienen. Ich denke, daß die sogenannten neuen Medien die Alten lediglich ergänzen und nicht ablösen werden. Bei der LiteraturClips-CD haben wir zum einen arrièregardistische Arbeiten gemacht, zum anderen ein altes Aufnahmemedium, den Kunstkopf mit einer zu dieser Zeit neuen Aufnahmetechnik, sprich DAT gekoppelt. Damit konnten wir dann praktisch Road-Radio machen und jeden Raum in ein Aufnahmestudio verwandeln. Wir erarbeiteten Soundscapes um der Poesie neue Klangräume zu eröffnen. Die Notwendigkeit der Literaturclip-CD ergab sich damals schon aus dem Verfall der klassischen Hörkultur (Stichwort ‚Begleitprogramm’) und dem fortschreitenden Verdrängungsprozess auf dem durch Hochtechnologie geprägten Medienmarkt. Daraus entstand dann in der Abfolge zwangsläufig das Live-Hörspiel Fünf - oder die Elemente, das 1993 im Veranstaltungssaal des Gutenberg-Museums im Rahmen der Mainzer-Minipressen-Messe uraufgeführt worden ist.

HAGEDORN: Lange bevor Andreas Ammer Apokalypse-Live in München aufführte.

WEIGONI: Wir haben den „Anstalten des öffentlichen Rechts“ im deutschsprachigen Raum dieses Live-Hörspiel-Projekt bereits im Herbst 1992 zur Kooperation angeboten, damals bestand nach Auskunft der Dramaturgien kein Bedarf...

HAGEDORN: Das Spannungsfeld Bühne / Elektronik / Studio hat dich seit den 1980-ern nicht losgelassen.

WEIGONI: Unlängst hatte ich den Auftrag, für die Reihe „Forum“ in Düsseldorf ein Libretto zu schreiben, aus dem Texte der »Letternmusik« stammten. Der Komponist Thomas Blomenkamp setzte die Gedichte kammermusikalisch für die Uraufführung in der Reihe forum 20 im Ibach-Saal um. »Letternmusik im Gaumentheater« ist eine tonale Komposition mit sprachlichen Mitteln. Lyrik, das ist meiner Ansicht nach auch Performance. Nirgendwo entfalten sich Gedichte so, wie auf der Bühne, einem Stück Theater.

HAGEDORN: Es war dir immer wichtig mit bildenden Künstlern zu arbeiten.

WEIGONI: »Schland« ist die mir wichtigste Arbeit, weil hier Bildende Kunst, Komposition und die Darstellende Kunst sinnfällig ineinander gegriffen haben. Auch hier ein ähnliches Problem, die Produktion war auf S-VHS dokumentiert, danke Tägers Hilfe gibt es nun ein Remaster von Super-8 auf DVD.

HAGEDORN: Den Glauben an die Poesie hast du nicht verloren?

WEIGONI: Ich befrage sie, nach wie vor. Beispielsweise in dem Langgedicht »Señora Nada«, hier erprobe ich eine Sprache, deren lyrische Qualität liquid und zugleich beweglich ist, als müßte sie auf die unruhigen Wasser der Lagune antworten.

HAGEDORN: Deine CDs sind ein ungeheuer facettenreiches Klang-Inferno, dies wird besonders deutlich bei deiner CD Top 100, die, wenn man sie den gängigen Hörbüchern gegenüberstellt, deutlich macht, wie unterschiedlich und dennoch ähnlich wirkungsvoll Literatur musikalisch umgesetzt werden kann.

WEIGONI: Diese Vielfalt sehe ich als großen Vorteil. Momentan verfügen wir über die ganze Bandbreite an künstlerischen Möglichkeiten, die sich vor allem technisch umsetzen lassen. Auf Top 100 finden sich Techniken und Arbeitsweisen aus 70 Jahren Hörspielgeschichte...

HAGEDORN: Kannst du zur Erläuterung einige Beispiele nennen?

WEIGONI: Da prallt das Sampling eines legendären Walter Ruttman-O-Ton-Stücks auf eine klassische Sprech-Stimme, die gegen ein rückwärts laufendes Band anspricht und auf einen Proloriff kracht, der mit Streetsound gekreuzt wird... bis hin zu einer Hommage an Orson Welles; und natürlich alle digitalen Leckereien, die auf dem damaligen Stand der Technik möglich waren. Diese Werkgruppen sind ineinander verflochten. Es findet sich das Hörspiel als Bagatelle, Triviale Maschinen sind ebenso zu hören wie Streetsounds, das Hörspiel als Rough’n’Roll und eben das Hörspiel als Spiel.

HAGEDORN: Warum so kurz?

WEIGONI: Auftrag an die unterschiedlichen Komponisten und Schauspieler war die Maßgabe, ein Hörspiel zu gestalten, das kürzer als eine Minute sein sollte. Die meisten Audiokünstler haben sich daran gehalten. Weiterer Auftrag war, Hörspiel so zu gestalten, wie sich die unterschiedlichen Komponisten und Schauspieler das Genre Hörspiel vorstellen. Daher die Vielfalt des Dargebotenen.

HAGEDORN: Du arbeitest du dich an Trivialmythen ab. Zuerst waren es sogenannte Gossenhefte, später kam »RaumbredouilleReplica«...

WEIGONI: Ein Hörspiel als Pop-Song, ein Popsong als Hörspiel, ein Hörspiel, das sich tanzen läßt... „Was heute noch wie ein Märchen klingt...“

HAGEDORN: So haben sich die Deutschen in den 1960-er Jahren die Zukunft vorgestellt, als autoritären Staat...

WEIGONI: ... in dem die Akteure in einem Rhythmus reden, der als Vorläufer des heutigen Rap bezeichnet werden kann. „Es gibt keine Nationalstaaten mehr, es gibt nur noch die Menschheit und ihre Kolonien im Weltraum.“

HAGEDORN: Bei der runderneuerten Hörspielcollage »RaumbredouilleReplica« geht es um alles: Die Bedrohung der Erde. Einen gesteuerten Schnelläufer. Eine Invasion und natürlich: Die Rettung der Erde.

WEIGONI: In Tom Täger habe ich den optimalen Kooperationspartner gefunden. Täger, der in seinem Tonstudio an der Ruhr die ersten Alben von Helge Schneider produziert oder die Misfits begleitet hat, hat ebenfalls ein Faible für Trash.

HAGEDORN: Die »RaumbredouilleReplica« berücksichtigt die Anforderung des klassischen Science-Fiction (Bedrohung der Erde, Rettung derselbigen) und ergänzt sie um Chiffren der Popkultur. Einen Remix herzustellen ist in der Popmusik normal. Ihr habt das Selbe mit der Tonspur der Fernseh–Serie Raumpatrouille gemacht.

WEIGONI: Für mich gehört das O-Ton-Hörspiel noch lange nicht zu den Akten. Bei der Produktion »Zur Sprache bringen…« kommt uns zugute, daß Radio–Machen ist ein Medium ist, bei dem man Behinderung nicht sieht. Bei dem Hör–Spiel–Projekt steht das Geschichten–Erzählen und die gemeinsame Arbeit von „Menschen mit Möglichkeiten“ im Vordergrund. Die Hörer spricht die Direktheit der dargestellten Konflikte an, auch die Ungeschütztheit, mit der berichtet wird, sowie eine gewisse Dringlichkeit des Tons. Es ging darum zuzuhören und eine Medienerfahrung zu machen. Ich ermunterte die Bewohner dazu, Geschichten zu erzählen. Zu erzählen mit dem natürlichen Charme, der ihnen angeboren ist. Hier wurde nicht geschönt, vertuscht, verheimlicht, hier konnte man Fehler machen.

HAGEDORN: Fakten und Fiktion kommen einander immer ins Gehege. Rimbauds Verdikt, nach dem Ich ein anderer ist, wird mittlerweile wie eine Binsenweisheit zitiert. Die Maske hinter der Maske ist stets eine neue Möglichkeitsform des Ich, nicht das Produkt einer wie auch immer gearteten Wirklichkeit. Doch die Verlockung ist ungebrochen, den Autor hinter der Maske seiner Figuren zu identifizieren. Wie löst du das?

WEIGONI: Spielerisch. "Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“, postulierte Schiller. Platon hatte Spiel genannt, was keinen nennenswerten Nutzen oder Schaden mit sich bringt. Ich lege die Betonung beim Hörspiel auf das Wort ‚Spiel’. Wie bei jedem Spiel gibt es Regeln. Und bei jedem neuen Stück muß man auch die Regeln neu erfinden.

HAGEDORN: „Wenn es Videoclips gibt, muß auch die Literatur auf die veränderten medialen Verhältnisse reagieren.“ hast du kackfrech vor Jahren proklamiert.

WEIGONI: Es sind kurze Ausrisse. In diesem Bereich bin ich Praktiker und sehe mich zu theoretischen Äußerungen nicht in der Lage, da Reflexion und Kontrolle in der Praxis stattfinden, also der Wirklichkeit der Produktionsbedingungen und der sich stetig verändernden Technik standhalten müssen. Früher haben die Künstler Manifeste geschrieben. Nun leben wir im 21. Jahrhundert. Wenn du nichts dagegen hast, würde ich gerne eine Passage aus dem Arbeitspapier von Top 100 zitieren...

HAGEDORN: Habe ich bereits in MetaPhon paraphrasiert. Kommt einfach auf den Punkt.

WEIGONI: Zwischen der Leere des Zen-Spruchs und dem hysterischen Rhythmus des Videoclips ist eine Form zu entdecken, die sich hören lassen kann. Nur so kann Literatur, will sie auf die veränderten medialen Verhältnisse und die dadurch erzeugten Wirklichkeiten reagieren, einen innovativen Input erhalten und letztlich eine weitere Existenzberechtigung. Mit der Digitalisierung beginnt das Zeitalter des LiteraturClips.

HAGEDORN: Andy Warhol hat aus Kunst Mode gemacht. Er machte Kunst banal und damit zu einer der Mode unterworfenen Ware. Also wird seine Vorhersage ernst: Jeder wird in Zukunft für 15 Minuten berühmt.

WEIGONI: Wenn etwas von den größenwahnsinnigsten Projekten der gescheiterten Moderne lernen kann, dann, daß Kunst die Suche nach der außergewöhnlichen Form ist. Das hätte wahrscheinlich selbst der böse Prophet des Trivialen so gesehen. Mit dem von mir geliebten rheinischen Humor ist Top 100 eine ironische Antwort auf unsere Hitparadenkultur. Wo auf überkommene Formen verzichtet wird, müssen neue Logistiken ausprobiert werden. Hier mit Kurzhörspielen, die in maximal einer Minute erzählt werden und den Fragmentarismus der Zeit widerspiegeln.

HAGEDORN: Die Gästeliste deiner CD ist beeindruckend. Wie bist du an die ganzen Leute gekommen?

WEIGONI: Es sind fast alle alte Kollegen von mir, die aus einem trockenen Konzept ein Kunstwerk gemacht haben. Poetische Momente von Der Plan treffen auf industriellen Lärm, die Licks von Phillip Boa auf lyrische Momente des Komponisten Karl-Heinz Blomann, Grooves von Scoredreth auf das Gebrummel des Rezitators Christof Wackernagel. Ginka Steinwachs spielt Geige...

HAGEDORN: ...die du am Mac mit einem Soundprogramm noch verfremdet hast...

WEIGONI: So ähnlich sind auch andere Clips entstanden! Gefragt war bei Top 100 also die Idee pur, ohne chemische Zusätze. Insgesamt 99 Bagatellen warten auf ihre Umsetzung, um dann durch den Hörer neu umgesetzt zu werden. Wenn man die Taste Random oder Shuffle drückt, setzt der Zufallsgenerator im CD-Player das digitale Hörspiel zusammen.

HAGEDORN: Den Titel Nummer 100.

WEIGONI: Exakt! Bei der Uraufführung im Kulturbahnhof Eller habe ich die Zeit ausgewürfelt, die Augen sagten: 7 Minuten.

HAGEDORN: Du machst dir einen Spaß daraus, die Aufnahmen als mp3 bei dem vom DeutschlandRadio betriebenen www.blogspiel.de einzustellen.

WEIGONI: Und es ist interessant, wie sich eine jüngere Generation von Hörspielern damit auseinandersetzt. Das Hörspiel für den i-pod wird sich meiner Einschätzung nach durchsetzen.

HAGEDORN: Das hält dich nicht davon ab, an einer neuen CD zu arbeiten, die sich im Titel frecherweise nach einer Literaturgattung benennt.

WEIGONI: Als Madonna eine CD mit dem Titel „Music“ herausgebracht hat, habe ich mit Täger in einer Sektlaune rumgeflaxt, daß wir die nächste CD „Gedichte“ nennen sollten. Dabei ist es geblieben. Hörbücher sind die herausgestreckte Zunge des Medienzeitalters!

HAGEDORN: Bedanke mich!

WEIGONI: Bis dahin.



Kurzkritiken


     
anspruchsvoll


Weiteres


Die CDs sind erhältlich über: info@tonstudio-an-der-ruhr.de

Links


http://www.vordenker.de/weigoni/mpaed.htm

http://www.hoerspielprojekt.de/MetaPhone/


Linktipp: »2007« als Erscheinungsjahr haben auch