Literarisches Werk


Der Hofmeister

Der Hofmeister

-oder Vorteile der Privaterziehung-

Jakob M. R. Lenz

 



Übersicht


Epoche : Sturm und Drang
Originalsprache : Deutsch
Stichwort : Fünfakter
Genre : Komödie
Umfang : ca. 155 Seiten
Besondere Liste : Meyers Kleines Lexikon - Literatur, Deutsche Literatur auf einen Blick
Verlag : aufbau, dtv Deutscher Taschenbuch Verlag, Hamburger Lesehefte Verlag, Reclam-Verlag, S. Fischer Verlag, Suhrkamp Verlag
Buchreihe : Hamburger Lesehefte

Kurzbeschreibung


»Der Hofmeister« ist ein Theaterstück von Jakob M. R. Lenz. 1774 und 1787 wurde das literarische Werk zuerst veröffentlicht.

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Erste Szene
Zu Insterburg in Preußen.

LÄUFFER. Mein Vater sagt: ich sei nicht tauglich zum Adjunkt. Ich glaube, der Fehler liegt in seinem Beutel; er will keinen bezahlen. Zum Pfaffen bin ich auch zu jung, zu gut gewachsen, habe zu viel Welt gesehn, und bei der Stadtschule hat mich der Geheime Rat nicht annehmen wollen. Mag's! er ist ein Pedant und dem ist freilich der Teufel selber nicht gelehrt genug. Im halben Jahr hätt ich doch wieder eingeholt, was ich von der Schule
mitgebracht, und dann wär ich für einen Klassenpräzeptor noch immer viel zu gelehrt gewesen, aber der Herr Geheime Rat muß das Ding besser verstehen. Er nennt mich immer nur Monsieur Läuffer, und wenn wir von Leipzig sprechen, fragt er nach Händels Kuchengarten und Richters Kaffeehaus, ich weiß nicht: soll das Satire sein, oder – Ich hab ihn doch mit unserm Konrektor bisweilen tiefsinnig genug diskurieren hören; er sieht mich vermutlich nicht für voll an. – Da kommt er eben mit dem Major; ich weiß nicht, ich scheu ihn ärger als den Teufel. Der Kerl hat etwas in seinem Gesicht, das mir unerträglich ist. Geht dem Geheimen Rat und dem Major mit viel freundlichen Scharrfüßen vorbei.


Zweite Szene
Geheimer Rat. Major.

MAJOR. Was willst du denn? Ist das nicht ein ganz artiges Männichen?
GEHEIMER RAT. Artig genug, nur zu artig. Aber was soll er deinen Sohn lehren?
MAJOR. Ich weiß nicht, Berg, du tust immer solche wunderliche Fragen.
GEHEIMER RAT. Nein aufrichtig! du mußt doch eine Absicht haben, wenn du einen Hofmeister nimmst und den Beutel mit einemmal so weit auftust, daß dreihundert Dukaten herausfallen. Sag mir, was meinst du mit dem Geld auszurichten; was foderst du dafür von deinem Hofmeister?
MAJOR. Daß er – was ich – daß er meinen Sohn in allen Wissenschaften und Artigkeiten und Weltmanieren – Ich weiß auch nicht, was du immer mit deinen Fragen willst; das wird sich schon finden; das werd ich ihm alles schon zu seiner Zeit sagen.
GEHEIMER RAT. Das heißt: du willst Hofmeister deines Hofmeisters sein; bedenkst du aber auch, was du da auf dich nimmst – Was soll dein Sohn werden, sag mir einmal?
MAJOR. Was er ... Soldat soll er werden; ein Kerl, wie ich gewesen bin.
GEHEIMER RAT. Das letzte laß nur weg, lieber Bruder; unsere Kinder sollen und müssen das nicht werden, was wir waren: die Zeiten ändern sich, Sitten, Umstände, alles, und wenn du nichts mehr und nichts weniger geworden wärst, als das leibhafte Kontrefei deines Eltervaters – –
MAJOR. Potz hundert! wenn er Major wird und ein braver Kerl wie ich und dem König so redlich dient als ich!
GEHEIMER RAT. Ganz gut, aber nach funfzig Jahren haben wir vielleicht einen andern König und eine andre Art ihm zu dienen. Aber ich seh schon, ich kann mich mit dir in die Sachen nicht einlassen, ich müßte zu weit ausholen und würde doch nichts ausrichten. Du siehst immer nur der graden Linie nach, die deine Frau dir mit Kreide über den Schnabel zieht.
MAJOR. Was willst du damit sagen, Berg? Ich bitt dich, misch dich nicht in meine Hausangelegenheiten, so wie ich mich nicht in die deinigen. – Aber sieh doch! da läuft ja eben dein gnädiger Junker mit zwei Hollunken aus der Schule heraus. – Vortreffliche Erziehung, Herr Philosophus! Das wird einmal was Rechts geben! Wer sollt es in aller Welt glauben, daß der Gassenbengel der einzige Sohn Sr. Excellenz des königlichen Geheimen Rats – –
GEHEIMER RAT. Laß ihn nur – Seine lustigen Spielgesellen werden ihn minder verderben als ein galonierter Müßiggänger, unterstützt von einer eiteln Patronin.
MAJOR. Du nimmst dir Freiheiten heraus. – Adieu.
GEHEIMER RAT. Ich bedaure dich.


Dritte Szene
Der Majorin Zimmer.

Frau Majorin auf einem Kanapee. Läuffer in sehr demütiger Stellung neben ihr sitzend. Leopold steht.
MAJORIN. Ich habe mit Ihrem Herrn Vater gesprochen und von den dreihundert Dukaten stehenden Gehalts sind wir bis auf hundert und funfzig einig worden. Dafür verlang ich aber auch Herr – Wie heißen Sie? – Herr Läuffer, daß Sie sich in Kleidern sauber halten und unserm Hause keine Schande machen. Ich weiß, daß Sie Geschmack haben; ich habe schon von Ihnen gehört, als Sie noch in Leipzig waren. Sie wissen, daß man heut zu Tage auf nichts in der Welt so sehr sieht, als ob ein Mensch sich zu führen wisse.
LÄUFFER. Ich hoff, Euer Gnaden werden mit mir zufrieden sein. Wenigstens hab ich in Leipzig keinen Ball ausgelassen und wohl über die funfzehn Tanzmeister in meinem Leben gehabt.
MAJORIN. So? lassen Sie doch sehen. Läuffer steht auf. Nicht furchtsam, Herr ... Läuffer! nicht furchtsam! Mein Sohn ist buschscheu genug; wenn der einen blöden Hofmeister bekommt, so ist's aus mit ihm. Versuchen Sie doch einmal, mir ein Kompliment aus der Menuet zu machen; zur Probe nur, damit ich doch sehe. – Nun, nun, das geht schon an! Mein Sohn braucht vor der Hand keinen Tanzmeister! Auch einen Pas, wenn's Ihnen beliebt. – Es wird schon gehen; das wird sich alles geben, wenn Sie einmal einer unsrer Assembleen werden beigewohnt haben ... Sind sie musikalisch?
LÄUFFER. Ich spiele die Geige, und das Klavier zur Not.
MAJORIN. Desto besser: wenn wir aufs Land gehn und Fräulein Milchzahn besuchen uns einmal; ich habe bisher ihnen immer was vorsingen müssen, wenn die guten Kinder Lust bekamen zu tanzen: aber besser ist besser.
LÄUFFER. Euer Gnaden setzen mich außer mich: wo wär ein Virtuos auf der Welt, der auf seinem Instrument Euer Gnaden Stimme zu erreichen hoffen dürfte.
MAJORIN. Ha ha ha, Sie haben mich ja noch nicht gehört ... Warten Sie; ist Ihnen die Menuet bekannt?

Singt.

LÄUFFER. O ... o ... verzeihen Sie dem Entzücken, dem Enthusiasmus, der mich hinreißt.

Küßt ihr die Hand.

MAJORIN. Und ich bin doch enrhumiert dazu; ich muß heut krähen wie ein Rabe. Vous parlez français, sans doute?
LÄUFFER. Un peu, Madame.
MAJORIN. Avez-vous déjà fait votre tour de France?
LÄUFFER. Non Madame ... Oui Madame.
MAJORIN. Vous devez donc savoir, qu'en France on ne baise pas les mains, mon cher! ...
BEDIENTER tritt herein. Der Graf Wermuth ...

Graf Wermuth tritt herein.

GRAF nach einigen stummen Komplimenten setzt sich zur Majorin aufs Kanapee. Läuffer bleibt verlegen stehen. Haben Euer Gnaden den neuen Tanzmeister schon gesehn, der aus Dresden angekommen? Er ist ein Marchese aus Florenz und heißt ... Aufrichtig: ich habe nur zwei auf meinen Reisen angetroffen, die ihm vorzuziehen waren.
MAJORIN. Das gesteh ich, nur zwei! In der Tat, Sie machen mich neugierig; ich weiß, welchen verzärtelten Geschmack der Graf Wermuth hat.
LÄUFFER. Pintinello ... nicht wahr? ich hab ihn in Leipzig auf dem Theater tanzen sehen; er tanzt nicht sonderlich ...
GRAF. Er tanzt – on ne peut pas mieux. – Wie ich Ihnen sage, gnädige Frau, in Petersburg hab ich einen Beluzzi gesehn, der ihm vorzuziehen war: aber dieser hat eine Leichtigkeit in seinen Füßen, so etwas Freies, Göttlichnachlässiges in seiner Stellung, in seinen Armen, in seinen Wendungen – –
LÄUFFER. Auf dem Kochischen Theater ward er ausgepfiffen, als er sich das letztemal sehen ließ.
MAJORIN. Merk Er sich, mein Freund! daß Domestiken in Gesellschaften von Standespersonen nicht mitreden. Geh Er auf Sein Zimmer. Wer hat Ihn gefragt?

Läuffer tritt einige Schritte zurück.

GRAF. Vermutlich der Hofmeister, den Sie dem jungen Herrn bestimmt? ...
MAJORIN. Er kommt ganz frisch von der hohen Schule. – Geh Er nur! Er hört ja, daß man von Ihm spricht; desto weniger schickt es sich, stehen zu bleiben. Läuffer geht mit einem steifen Kompliment ab. Es ist was Unerträgliches, daß man für sein Geld keinen rechtschaffenen Menschen mehr antreffen kann. Mein Mann hat wohl dreimal an einen dasigen Professor geschrieben, und dies soll doch noch der galanteste Mensch auf der ganzen Akademie gewesen sein. Sie sehen's auch wohl an seinem links bordierten Kleide. Stellen Sie sich vor, von Leipzig bis Insterburg zweihundert Dukaten Reisegeld und jährliches Gehalt fünfhundert Dukaten, ist das nicht erschröcklich?
GRAF. Ich glaube, sein Vater ist der Prediger hier aus dem Ort ...
MAJORIN. Ich weiß nicht – es kann sein – ich habe nicht darnach gefragt, ja doch, ich glaub es fast: er heißt ja auch Läuffer; nun denn ist er freilich noch artig genug. Denn das ist ein rechter Bär, wenigstens hat er mich ein für allemal aus der Kirche gebrüllt.
GRAF. Ist's ein Katholik?
MAJORIN. Nein doch, Sie wissen ja, daß in Insterburg keine katholische Kirche ist: er ist lutherisch, oder protestantisch wollt ich sagen; er ist protestantisch.
GRAF. Pintinello tanzt ... Es ist wahr, ich habe mir mein Tanzen einige dreißig tausend Gulden kosten lassen, aber noch einmal so viel gäb ich drum, wenn ...

Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 11-16.

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Ausgaben (Auswahl)


lieferbare Ausgaben
Der Hofmeister
Der Hofmeister
(Jakob M. R. Lenz)
Suhrkamp Verlag, 2009, 194 S., 9783518189085
6,00 €

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Der Hofmeister oder Vorteile der Privaterziehung
Hamburger Lesehefte Verlag, 2020, 84 S., 9783872911674
2,30 €

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Der Hofmeister oder Vorteile der Privaterziehung
Reclam-Verlag, 1986, 104 S., 9783150013762
4,00 €

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Die Soldaten / Der Hofmeister
S. Fischer Verlag, 2008, 181 S., 9783596900558
7,00 €

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nicht mehr lieferbar
Lenz Werke
Lenz Werke
(Jakob M. R. Lenz)
aufbau, 1972, 418 S.




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